Autor Thema: Wenn das Ich verschwindet - Neue Wege im Umgang mit Demenz  (Gelesen 4904 mal)

Online Thomas Beßen

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Wenn das Ich verschwindet - Neue Wege im Umgang mit Demenz
« am: 23. September 2013, 06:23:12 »
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"Normalerweise werden desorientierte Menschen, die häufiger fortlaufen und sich dadurch selbst gefährden, hierzulande in geschlossenen Abteilungen untergebracht. Das Fritz-Rupprecht-Heim in Fürth, wo die unter Anleitung einer Fachkraft in Erinnerungen schwelgende Damenrunde zu Hause ist, geht einen anderen Weg: Die Franken haben einfach das komplette Gelände umfriedet. Viele kleine Hilfsmittel sorgen dafür, dass die Bewohner sich orientieren können und immer wieder an zentrale Orte zurückgelotst werden.

„Bei uns können sich die Dementen im ganzen Areal frei bewegen”, berichtet Heimleiter Udo Weißfloch. „Das Gefühl, eingesperrt zu sein, ist weg.” Den Gesundheitszustand der Betroffenen verbessere dies spürbar. „Wir haben weniger Fixierungen, weniger Medikation, weniger Appetitlosigkeit, unsere Leute sind ruhiger und ausgeglichener.”

Schon beim Bau des Gebäudes wurde das Konzept konsequent berücksichtigt: Die Flure durchziehen helle Gangspuren, die von schwarzen Streifen eingefasst werden - dadurch folgen die Dementen unbewusst der Wegeführung. Türen zu Abstellräumen sind mit der gleichen Tapete wie die Wand beklebt, sie zu öffnen wird so unattraktiv. Die große Wohnküche hingegen ist besonders hell beleuchtet, weil Menschen von Licht instinktiv angezogen werden.

Die Türen sind offen - nur diejenigen Patienten, für die wegen der Weglaufgefahr ein richterlicher Beschluss zur Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung vorliegt, tragen ein Armband. Nähern sie sich der Ausgangstür, verriegelt sich das Schloss.

Büxt trotz allem mal ein Bewohner aus, brauchen die Mitarbeiter oft nur vor die Heimtüre zu treten: Dort steht eine Bushaltestelle, mit Halteschild, Fahrplan, Sitzbank und einer gelben Telefonzelle. Doch es kommt nie ein Bus. Die Patienten warten trotzdem geduldig.

Denn gerade das Gefühl für Zeit geht Alzheimerpatienten verloren. Während die Krankheit mit Vergesslichkeit und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses beginnt, bereiten später Orientierung, Sprechen, Rechnen und Lesen immer mehr Probleme. Auch die Fähigkeit, sich Zeit und Termine einzuteilen, nimmt rapide ab, ebenso das Urteilsvermögen. Die Betroffenen leben in ihrer eigenen Welt. ..."


Quelle & mehr: http://www.aachener-zeitung.de bzw. http://www.aachener-zeitung.de/ratgeber/gesundheit/alzheimer-wenn-das-ich-verschwindet-1.658496#1187096799

Lesenswert meint früh & müde herzlich grüßend
Thomas Beßen
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.

Offline IKARUS

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Re: Wenn das Ich verschwindet - Neue Wege im Umgang mit Demenz
« Antwort #1 am: 24. September 2013, 21:32:05 »
Wie wir wissen und in der Überschrift ja steht, geht "nur" das Kurzzeitgedächtnis verloren.
Das kann ich nach meiner heutigen Tanzstunde im Seniorenheim nur bestätigen. Seit nun mehr als einem Jahr läuft dieses Projekt und ich habe einige tolle Beobachtungen machen dürfen. Eine Bewohnerin machte mir das Angebot mit ihr zu tanzen. Sie bat um einen Tango. Sie stand auf und richtete sich auf. Während des Tanzes hat sie eine sehr gute Körperspannung, die sonst bei ihr nicht zu beobachten war. Nach dem Tanz setze sie sich wieder hin und versank in ihre Welt. Nun ist es so, dass sie alle vierzehn Tage mich auffordert mit ihr zu tanzen, was ich gerne tue. So wie mit den anderen Damen.
Heute ist eine Dame aus sich herausgekommen. Ich hatte gedacht, dass sie Rollstuhlpflichtig ist, weil sie immer im Rollstuhl am Parkettrand stand/saß. Sie sprach mich an, ob ich mir vorstellen könne mit ihr zu tanzen. Ich zögerte mit meiner Antwort. Der Ehemann half mir, indem er sich in der Gespräch einbrachte und mir sagte, dass sie noch laufen könne und in diesem Rollstuhl sitzt, weil er ihr bequemer ist als alle anderen Sitzgelegenheiten. So informiert habe ich dann der Bewohnerin angeboten, in der kommenden Stunde mit ihr zu tanzen.
Obwohl ich nicht im Ansatz tanze wie in einer Tanzschule oder gar im Turniertanzen, treffe ich wohl die Seelen der Bewohnerinnen. Besagte Dame erinnerte sich an einen Tango, den sie gerne hörte und bei dem sie gerne tanzte.
Diesen Tango kann man nun hier auch hören!
Alles in Allem kann ich Tanzbegeisterte aufrufen ähnliches zu tun. Man bekommt mehr zurück, als man investiert.

Vor wenigen Tagen ist mir der Gedanke gekommen die AEDL Sich bewegen und die AEDL Sich als Frau/Mann fühlen in einem Aufsatz zu bearbeiten. Viele Damen und auch einige Herren berichten mir, dass sie durch das Tanzen ein ganz altes (neues!!) Gefühl empfinden. Sie erinnern sich an die frühere Zeit und genießen auch das heutige Tanzen.
Das Turniertanzen hat mir insoweit geholfen, dass ich nicht mehr über meine Schritte nachdenken muss und mich auf die Tanzpartnerin konzentrieren kann. Hier meine ich, dass die Körperspannung meiner "Tanzpartnerinnen" irgendwann nachlässt und ich den Tanz auch vorzeitig beende.
Was ich hiermit meine kann ich am besten so erklären: Welche versierte Pflegekraft schaut noch auf ihre Finger wenn sie den Puls ertastet? Ich erspüre an meinem rechten Arm (der Arm in dem die Tanzpartnerin ist) ob die Tanzpartnerin an Kraft verliert und sich lieber setzen sollte, bevor sie zusammen klappt.

Hier gilt der weise Spruch: Weniger ist oft mehr!! 

Tanzsportliche Grüße, IKARUS die tanzende Pflegesocke