Hallo Brady, als ich deine Zeilen las, kam mir der Gedanken, dass die Schülerin wohl richtig gehandelt hat, aber sie hat eventuell vergessen, den Patienten zu fragen, ob er denn überhaupt selbständig werden will, bezogen auf seine Gesundheit. Viele Menschen kommen ins Krankenhaus und geben am Empfang etwas ab. Ihre Selbständigkeit! Nun wollen wir heute in der Pflege den Patienten dazu bringen, die Zeit nach seiner Entlassung selbständig zu bewerkstelligen. Anleitung zur Selbständigkeit bezeichnen wir das in der professionellen Pflege, oder Hilfe zur Selbsthilfe. Deine Zeilen haben mich auch dahingehend nachdenklich gestimmt, dass wir in der Schule einen kleinen aber wichtigen Teil nicht ausreichend kommunizieren. Der Schüler kommt mit dem neuerworbenen Fachwissen auf die Station und geht mit diesem ans Krankenbett. Und dann? Jetzt trifft Theorie die Praxis! Hier stelle ich die Frage: inwieweit ist der Patient darauf vorbereitet selbständig zu sein/zu werden. Wir haben in Deutschland eine andere Kultur als die Amerikaner. Dies soll heißen, dass das Selbstpflegekonzept von D. Orem nicht ohne weiteres 1:1 umgesetzt werden kann. Viele deutsche Patienten gehen ins Krankenhaus und lassen sich behandeln. "Der Doktor wird's schon richten!" Der Amerikaner fragt sich: was kann ich auch tun, damit ich gesund werde? Er begibt sich nicht ausschließlich in die Hände der Ärzte und Schwestern. Das kostet alles viel Geld. In Deutschland gibt (eventuell doch gab!!) es das rundum Sorglospaket. Der Patient kommt in Krankenhaus und lässt sich behandeln/bedienen. Hier muss noch kein Patient für Extraleistungen mehr bezahlen. Das wird sich aber in absehbarer Zeit ändern. Da bin ich mir sicher!!
Das man der jungen Kollegin vom Team aus nicht den Rücken stärkt ist eine traurige Alltagsweisheit. Das geht nicht deiner [unserer!!] Kollegin alleine so. Ist aber dennoch aus meiner Sicht nicht nachahmenswert. Wir "alten Hasen" sollten uns schützend vor die Schülerinnen stellen. Je besser ich "meine" Schülerin anleite, desto eher kann sie selbständig und "stolperfrei" auf der Station arbeiten. Die vielen Fallstricke sind ja unsichtbar und können deshalb im Unterricht nicht vermittelt werden, weil die Stricke auch abteilungs- und stationsspezifisch sein können.
Ich hatte mal als SL einen Patienten, der "unsere" junge Schülerin ärgern wollte. Als ich davon Kenntnis bekam, habe ich zuerst die PDL, den VL und den PR informiert. Meine Rückendeckung! Anschließend habe ich mit dem OA und dem CA gesprochen. Wie ich es erwartet habe, hat der Patient sich wiederholt sprachlich an der jungen Kollegin "vergangen". Daraufhin habe ich dem Patienten gesagt, dass ich sein Verhalten ich bei der CA-Visite zum Thema machen werden. Von meinen Vorgesprächen kannte er ja nichts! Ergebnis der CA-Visite war, dass der Patient ging und die junge Kollegin bleiben konnte. Das hatte unter den Schülern für Furore gesorgt, und unsere Station stand oben auf ihrer Hitliste. Es ist nicht so, dass die SchülerInnen bei uns ein leichtes Leben hatten, aber wir haben uns vor sie gestellt. Damit sich ein CA auf die Seite des Personals stellt ist nicht gängiger Alltag, aber mitunter möglich. Ich war für das Verhalten sehr dankbar. Denn es hätte auch anders ausgehen können. Aber dann hätte ich den Weg so nicht gewählt.
Folgendes sollten wir mit dem Patienten vor unserem Tun besprechen: möchte er das er selbständig wird? kennt er diesen Begriff überhaupt.
Als Pflegeprofis wissen wir um die Wichtigkeit. Wir müssen jedoch bedenken, dass unsere Pflegetheorien, so wichtig wie sie sein mögen, bei Patienten kaum einen Stellenwert haben.
Ich denke, dass du auch den Standpunkt vertreten könnest: vor jeder Tat gehört ein klärendes Wort.
Einen kommunikativen Gruß,IKARUS