Autor Thema: Ein Sonntag im Sommer  (Gelesen 3895 mal)

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.055
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Ein Sonntag im Sommer
« am: 16. August 2012, 19:47:52 »
Im Gegensatz zu den Wochentagen ist Sonntags statt um 07:00 um 08:00 Wachwechsel. Dadurch können die Kollegen etwas länger ruhen. Grundsätzlich fangen wir aber schon um 07:30 an, damit unsere Kollegen nicht noch einml raus müssen. Zuerst werden immer die Fahrzeuge gecheckt. Danach Brötchen holen. Während wir mit dem RTW Brötchen holen kocht die Besatzung vom ZRTW Kaffee. Der NEF Fahrer macht Nacht/Tag und pennt noch. Wir vom RTW kennen uns seit Jahren. Mein Kollege war mit mir in der Jugendfeuerwehr und wir sammeln beide Modelleinsatzfahrzeuge. Unsere Dritte stammt von einem befreundeten Ortsverband und sie wollte mal wieder mit uns fahren. Über Funk bekommen wir mit wie die Polizei RTW und NEF zu einer Verbrennung nach B-Dorf von unserer Leitstelle anfordern. Der Notfallort gehört zu unserem Ausrückebereich. Die Lst. fragt nach ob auch ein Löschzug ausrücken soll, was von der Pol. verneint wird. Seltsam. Um die Zeit abzukürzen sprinten wir schon vor der Alarmierung die Treppe runter. Unterwegs fangen unsere Funkmeldeempfänger an zu piepen. Keine 30 Sek. nach der Alarmierung rücken wir aus. Die Straßen sind fast leer. Einige Unentwegte scheuche ich mit den Pressis zur Seite.
In C-Dorf sind nicht nur die Straßen sehr eng, die Vorfahrtsstr. macht auch noch einen rechtwinkligen Knick. Abbremsen, und wieder beschleunigen. Der Einsatzort in B-Dorf mutet skuril an. Verbrennung auf dem Friedhof. Also ein Grillunfall wird es nicht sein. B-Dorf naht. Durch den Ort durch und dann nach links. Angekommen rennen wir mit unserem Equippment los. Vor dem Kriegerdenkmal sehen wir ein schwarzes Etwas sitzen. Unsere ersten Gedanken: Das kann doch nicht sein. Dann beginnt das schwarze Etwas zu sprechen: Herr, vergib ihnen, Herr, vergib mir. Aus der Entfernung hören wir unser NEF. Vor uns sitzt eine weibliche Person mit >90% KOF Verbrennung. Nachforderung Christoph, Versuch eines peripheren iV Zugangs - ohne Erfolg, verbrannt. Sauerstoffgabe. Ankunft NEF. Unser Doc geht gleich an die Femuralis und macht eine Venae sektio. Neben der Patientin steht ein Benzinkanister. Sie scheint keine Schmerzen zu haben, die Nervenendbahnen sind verbrannt. Uns ist die Prognose nur zu klar. Die Pol. hält uns die Zuschauer vom Leib. Es langt, dass wir da durch müssen. Mittlerweile ist der RTH eingetroffen. Der Kollege vom RTH sagt etwas was uns nicht gefällt, aber er hat recht. Die Frau wird sterben, daran würde ein Transport mit dem RTH in eine Verbrennungsklinik nichts ändern. Vorschlag, mit Voranmeldung in das örtliche Krankenhaus. Ich schlage Moni, unserer Dritten, vor, im NEF mitzufahren. Über Funk teile ich unserer Leitstelle "aufgenommen, mit NA Klinik A-Dorf, Melden sie an, Ambulanz räumen, Eintreffen ca 9 Minuten". Sonntags morgens ist die chirurgische Ambulanz oft voll, nicht zuletzt deshalb, weil viele Leute glauben dann nicht so lange Warten zu müssen als beim Hausarzt. Ich habe während der Fahrt vorne alle Fenster offen, trotzdem dringt der Geruch von verbranntem Fleisch durch den RTW. Unsere Klinik naht. Schnelles Ausladen, unsere ZRTW Besatzung hilft uns und hält Laken in Richtung Straße. In der Ambulanz lagern wir die Patientin vorsichtig um. Im Laufe des Tages erfahren wir das sie drei Stunden nach Einlieferung verstorben ist. Nun bringen wir den RTW wieder auf Vordermann. Trotzdem bleibt ein unangenehmer Geruch in der Nase. Die Polizei teilte uns anschließend mit das sie einen Abschiedsbrief gefunden habe. Die Frau war eine arbeitslose Lehramtsreferendarin. Sie wollte an den Jahrestag von Tschernobyl erinnern. Sie war angeblich auch in ambulanter psychiatrischer Behandlung. Mittlerweile war unser RTW wieder einsatzklar. Ich fuhr ihn über die Straße zu unserer Wache. Der Appetit auf die frischen Brötchen war uns erstmal vergangen.
Kurze Zeit Später wieder Notfalleinsatz für den RTW. VU Ortsausgang A- Dorf in Richtung D- Dorf. Rein in den Bock, Motor an und im Anfahren Beleuchtung an. So 200 m vor der ersten roten Ampel ist Zeit für rock`n Roll. Vorsichtig rantasten, kurz anhalten, überzeugen das uns jeder gesehen hat und drüber. Vier Minuten nach Alarmierung sind wir vor Ort. Ein typischer Auffahrunfall. Die Sicherheitsgurte haben Schlimmeres vermieden. Der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs hatte V. a. Schleudertrauma, der "Gegner" ebenfalls und Schmerzen im li Rippenbogenbereich. Die vitalparameter incl. SpO² und BZ stabil, die Pupillen isocor. Es lag bei voller Ansprechbarkeit keine Amnesie vor. Beide Patienten normale Fahrt in das örtliche Krankenhaus. Nach Röntgen und ambulanter Behandlung werden beide noch am selben Tag wieder nach Hause. Für uns heißt es erstmal wieder den RTW fit machen und Verbrauchsmaterial auffüllen.
Kaum geschehen werden wir und unser NEF in ein Pflegeheim in B-Dorf alarmiert. Einsatzstichwort verletzte Person, V. a. SHT. Wir treffen einen ca 80-jährigen gesund aussehenden männlichen Patienten an. Noch bevor wir uns Vorstellen können erfahren wir von dem dortigen Pflegepersonal das der Patient eine Schädelimpressionsfraktur habe, desorientiert sei und nur vom Krieg rede. Der Patient konnte uns dann dahingehend aufklären das er im Krieg durch einen Splitter eine Kopfverletzung erlitten habe. Seitdem habe er eine delle am Kopf. Dem Pflegepersonal ist dies beim Waschen des Patienten aufgefallen. Ohne dem Mann mal zuzuhören alarmierten sie uns. Na gut, versuchter Einsatz. Über Funk einsatzklar Richtung Wache. Der Einsatz sorgt für eine gewisse Heiterkeit.
Auf dem Weg zur Wache wirds lebendig im Funk. Schwerer VU mit Eingeklemmten zwischen E-Dorf, einem Stadtteil von A-Dorf, in Höhe Fischweiher, ca 1 Km hinter E-Dorf. Einsatz für uns, das NEF, unseren ZRTW, die Feuerwehr A- dorf mit dem Hilfeleistungszug sowie der örtlichen feuerwehr aus E-Dorf. Runter Schalten, Bluelight und Pressis an, Gas geben. Der Motor übertönt fast unsere Pressluftfanfaren. In den Schaufenstern kann man den Widerschein unserer Blaulichter sehen. Ohne Unterbrechung orgeln die Martinshörner. Im Zugverband geht es durch A-Dorf. Unsere Leitstelle hat zeitgleich Christoph alarmiert. Die örtliche Feuerwehr ist mit ihrem Löschgruppenfahrzeug als erste vor Ort. Ihre Aufgabe: Absicherung der Unfallstelle, Erstversorgung, Sicherstellen des Brandschutzes und Rückmeldung. Diese lautet 1 Schwerverletzter eingeklemmt bei Bewußsein und schwere Atemnot, 1 Person Bewußtlos und eine dritte Person ebenfalls eingeklemmt, bei Bewußsein mit starken Schmerzen. Ok, viel arbeit. Von weitem können wir die Unfallstelle erkennen. Ein Fahrzeug liegt auf dem Dach. Eine Person befindet sich noch darin. Das zweite Fahrzeug steht quer auf der Straße. Auch dort befindet sich noch eine Person im Fahrzeug. Der Bewußlose war nicht angeschnallt und wurde bei dem Aufprall aus dem Fahrzeug geschleudert. Ein Trupp des örtlichen LF reanimert ihn. Der ZRTW bekommt von mir den Patientenaus dem stehenden Fahrzeug zugewiesen, wir übernehmen den aus dem überschlagenen Fahrzeug. Vor dem Eindringen in das Wrack klappe ich das Visier vom Helm vor mein Gesicht. Neben dem Unfallfahrzeug hält der Vorausrüstwagen. Mit dem Spreizer wird nun die Tür geöffnet. Vorher setzte ich dem Pat. noch einen Schutzhelm über. Vor der Befreiung legte ich dem Pat. zwei großlumige Zugänge. Bei der Erstuntersuchung stellte ich einen instabilen Thorax fest. V. a. Rippnserienfraktur und Hämatothorax. Unser Notarzt ordnete Fenthanyl an. Während der Fentha Injektion wurde mit hydraulischen Stempel Motorblock und Lenkradsäule von dem Patienten weggedrückt. Der Patient bekam vor der Rettung eine Halskrause und mit Hilfe der Schaufeltrage holten wir nun den Verletzten aus dem Auto und legten ihn auf die Vacuummatratze. Der zweite Patient würde von der Besatzung des Rüstwagens befreit. Bei ihm bestand V. a. eine intraabdominale Blutung. Unser NA kümmerte sich mit seinem fahrer um den reanimationspflichtigen Patienten. Er hatte V. a. ein SHT sowie mehrere Frakturen. Nach Absprache mit unserem NA startete wir mit Voranmeldung in das örtliche Krankenhaus, der mittlerweile eingetroffene RTH übernahm den Patienten mit der intraabdominalen Blutung. Hier spielt der Zeitfaktor eine absolut limitierende Rolle, unser NA gab mußte nach zähen Kampf um das Leben des dritten Verletzten aufgeben. Wir waren inzwischen in der Klinik angekommen. Ausladen und Übergabe im Schockraum, Mithelfen bei der weiteren Versorgung. Danach - RTW wieder flott machen.
Danach kehrte Ruhe ein für diesen Tag.
« Letzte Änderung: 16. August 2012, 20:04:29 von dino »

Offline JoTho

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 84
  • Concordia domi foris pax
Re: Ein Sonntag im Sommer
« Antwort #1 am: 17. August 2012, 21:29:09 »
.... und warum diese ausführliche Erklärung??  :evil:
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das was wir tun,
sondern auch für das, was wir nicht tun“.

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.055
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Re: Ein Sonntag im Sommer
« Antwort #2 am: 17. August 2012, 23:22:46 »
.... weil ich Langeweile hatte  :evil:

Offline IKARUS

  • Member
  • *
  • Beiträge: 2.891
  • Tanzen ist Träumen mit den Füßen
Re: Ein Sonntag im Sommer
« Antwort #3 am: 18. August 2012, 08:55:49 »
Und ich dachte mir Dino, dass du uns einen Einblick in den Rettungsdienst geben wolltest. Die Scholderung wirkte auf mich sehr plastisch. Was den Menschen mit dem Benzinkoffer angeht, war es (nur für mich!) eine zu deutliche Schilderung. Es kam Bilder ins Bewusstsein die sich mit denen der Zukunft verknüpften. Ich will es mal deutlich machen. Für eine PFlegefachkraft mit Jahren an BErufserfahrung  läuft ein "Film" im Kopf ab, der das abbildet, was in den kommenden Wochen oder gar Monaten auf den Patienten und das Behandlaungsteam zukommt.
Ungeachtet davon, solltest du Dino, Einblicke in die spannende Tätigkeit des Rettungsdienstes vorstellen, damit ggf unser Pflege-Nachwuchs auch Gefallen an dieser Tätigkeit finden kann.
Sonniges Wochenende wünscht, IKARUS

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.055
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Re: Ein Sonntag im Sommer
« Antwort #4 am: 18. August 2012, 11:15:41 »
Das mit der Langeweile war natürlich nicht wahr. Ich versuche es so zu Schildern wie es war, nicht, wie man es vielleicht wollte.
Viele Grüße     dino