Autor Thema: Pro und Contra - Verdienen Pflegende zu wenig?  (Gelesen 5756 mal)

Offline Thomas Beßen

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Pro und Contra - Verdienen Pflegende zu wenig?
« am: 12. März 2012, 07:25:26 »
Nachtschichten, Wochenenddienste – und trotzdem kommt am Ende des Monats nicht mehr als 1500 Euro netto raus. Ist die Bezahlung von Pflegenden zu niedrig, um den Beruf attraktiv zu halten?


Günther Heil - „Die Arbeit von Pflegenden steht in keinem guten Verhältnis zur Vergütung“

"Weder ist die Bezahlung von Pflegenden – ob im Krankenhaus, in der Altenhilfe oder im ambulanten Bereich – angesichts der hohen Anforderungen, Verantwortung und Arbeitsbelastung angemessen, noch reicht sie aus, um den Beruf attraktiv zu halten. Pflegekräfte empfinden somit zurecht, dass die geleistete Arbeit in keinem guten Verhältnis zur Vergütung steht. Meines Erachtens finden einige wichtige Argumente bei der Diskussion um eine angemessene Bezahlung zu wenig Beachtung. Auf die wichtigsten Punkte möchte ich näher eingehen:

1. Es werden in der Pflege kaum noch Vollzeitverträge abgeschlossen, da jede Planstelle mit möglichst vielen „Köpfen“ besetzt werden muss. Nur damit lassen sich die Dienstpläne an sieben Tagen pro Woche mit 24 Stunden täglich abdecken. Immer mehr Pflegekräfte müssen somit noch Zweitbeschäftigungen annehmen.
2. Die Dienstzeiten von Pflegekräften sind mit Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdiensten ebenfalls sehr familienfeindlich, obwohl die Mehrheit der Mitarbeitenden irgendwann eine Familie gründen will oder gegründet hat. Wer am Heiligen Abend oder in der Silvesternacht arbeiten muss, sollte nicht mit Berufsgruppen verglichen werden, die keinen 7-24-Schichtdienst leisten. Diese Zeiten werden zwar vergütet, belasten aber jede Familie oder Beziehung.
3. Kaum eine Pflegeeinrichtung hat Zeiterfassungssysteme. Somit werden viele geleistete Arbeitsstunden gar nicht erfasst und vergütet (früher anfangen, Pause verkürzen, später aufhören). Die Träger wissen schon, warum sie diese Systeme nicht einführen.
4. Viele Einrichtungen haben Tausende von Überstunden ihrer Mitarbeiter. Das ist geleistete Arbeit, die noch nicht vergütet oder für die bislang kein Freizeitausgleich erfolgt ist.
5. Die Urlaubs- und Freizeitplanung ist mittlerweile nur noch provisorisch, da aufgrund der hohen Fluktuation und Krankheitsquoten ständiges Einspringen und der Aufbau von weiteren Plusstunden auf der Tagesordnung stehen.
6. Pflegehilfskräfte erhalten nach AVR Bayern in Vollzeit zwischen 1600 und 1770 Euro zuzüglich Zuschläge. Bei besagten Teilzeitverträgen bleibt nach Steuer- und SV-Beiträge nur noch ein dreistelliger Betrag.
7. Der tägliche Umgang mit herausforderdem Verhalten, Ausscheidungen und Tod ist gepaart mit ständiger Rechtfertigungspflicht gegenüber den Trägern, den Prüforganen und Angehörigen. Der eigene Anspruch an eine gute Pflege und das tatsächlich Machbare stehen in einer derartigen Diskrepanz, dass die Arbeit für immer weniger Pflegekräfte erträglich ist.


Prof. Dr. Rüdiger Ostermann - „Geld ist nicht alles – Pflege ist mehr als ein Beruf, es ist eine Berufung“

Um trotz des negativen Image der Pflege genügend Arbeitnehmer für diesen Berufszweig zu gewinnen, wäre die Strategie sinnvoll, eine sehr hohe Entlohnung anzubieten. Als Gründe für das negative Image werden ungünstige Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung bei einer hohen Verantwortung genannt. Aber wird die Kombination dieser Argumente dem gesamten Sachverhalt wirklich gerecht?
Bei den Ausbildungsvergütungen stehen die Pflegekräfte sehr gut da, denn es gibt kaum einen anderen dreijährigen Ausbildungsberuf mit gleichen Einstellungsvoraussetzungen, der eine höhere Vergütung bezahlt. Ob die hohen Ausbildungsvergütungen wirklich dazu führen, dass mehr junge Menschen mit einer Pflegeausbildung beginnen, müsste in einer separaten Studie überprüft werden.
Bei den Arbeitszeiten und der damit verbundenen Familienunfreundlichkeit schneiden eine Hotelfachfrau oder ein Triebfahrzeugführer (Lokführer) sicherlich nicht besser ab als Pflegekräfte. Aber bei der Bezahlung steht die Hotelfachfrau in der Regel schlechter da als die examinierte Pflegekraft. Die höhere Bezahlung der Pflegekraft im Vergleich zur Hotelfachfrau könnte man nun mit der höheren beruflichen Verantwortung der Pflegekräfte begründen, wobei noch genau zu klären wäre, was eine berufliche Verantwortung ist. Folgt man dieser Argumentation, so müsste ein Triebfahrzeugführer der Deutschen Bahn eine höhere Verantwortung haben als eine Pflegekraft, da er geringfügig mehr verdient. Aber ein Lokführer der privaten Konkurrenz hätte wieder weniger Verantwortung, da er zirka 30 Prozent weniger verdient als sein Kollege bei der Deutschen Bahn. Stimmt da die Argumentation? Und warum verdient ein Flugkapitän weitaus mehr als Doppelte eines Lokführers, obwohl doch die berufliche Verantwortung – nämlich der Transport von Personen – sehr ähnlich ist?
Als Hochschullehrer wird man von Studierenden des Öfteren gefragt, warum man die Mühen eines grundständigen Studienganges in der Pflege auf sich nehmen soll, wenn die anschließende Vergütung nicht besser ist als die Vergütung der Kollegen, die nur über einen „normalen“ Berufsabschluss verfügen. Eine Antwort lautet, dass es neben einer monetären Vergütung auch noch eine „Vergütung in Naturalien“ gibt. Durch eine Hochschulausbildung kann man in mehr Bereichen, zum Beispiel in Projekten, eingesetzt werden und erhält damit ein noch attraktiveres berufliches Umfeld als es die Pflege an sich schon ist. Und diese Argumentation kann man vom Berufsfeld Pflege auch zum Vergleich anderer Berufsfelder heranziehen: Geld ist nicht alles! Wäre man als Pflegekraft wirklich glücklicher und zufriedener, wenn man in einer Flaschenfüllanlage die aufgeklebten Etiketten kontrolliert, aber dafür 1000 Euro mehr in der Tasche hätte?
Die Fragestellung „Verdienen Pflegende zu wenig?“ ist also sachlich und ausgewogen zu diskutieren und muss von vielen Seiten betrachtet werden. Pflege ist mehr als ein Beruf, es ist in meinen Augen eine Berufung."


Quelle: https://www.station24.de/gesundheitspolitik-und-wirtschaft/-/content/detail/582251

Guten Morgen!
Thomas Beßen
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.

Offline Beate

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Re: Pro und Contra - Verdienen Pflegende zu wenig?
« Antwort #1 am: 12. März 2012, 18:49:21 »
Da muß ich doch meinen Senf dazugeben und feststellen, daß ich mich den Worten des Herrn Heil besser anschliessen kann als den Worten des Prof.Dr. Ostermann. Wobei Prof. Ostermann nicht unrecht hat, indem er feststellt, dass die Ausbildungsvergütung der Pflegenden höher ist als bei einem Azubi in der Hotelbranche. Ich dachte, als ich las "Geld ist nicht alles, Pflege ist mehr als ein Beruf, es ist eine Berufung", das kommt ihm gerade recht. sorry, wenn ich da so deutlich werde, aber ich finde das so nicht ok. Das Pflege eine Berufung sein soll rechtfertigt doch fast die Tatsache, dass diese anspruchsvolle, anstrengende Arbeit ja nicht unbedingt höher bezahlt werden muß. Solch eine Argumentation halte ich für unreflektiert und man könnte als Pflegefachkraft ja auf den Gedanken kommen, dass meine Arbeit es nicht wert sein soll, höher bezahlt zu werden. Solche Aussagen sind inhaltlich sehr bedenklich. Ist es doch so, dass Pflegekräfte weitaus mehr Aufgaben versehen, als so manch einer denkt und wahrnimmt!!!
Ich vertrete den Standpunkt, dass Pflegefachkräfte höher entlohnt werden sollten, und vor allem diejenigen, die über ein sehr großes Fachwissen verfügen!!
LG beate