Autor Thema: Zunahme der psychischen Erkrankungen  (Gelesen 7252 mal)

Offline IKARUS

  • Member
  • *
  • Beiträge: 2.891
  • Tanzen ist Träumen mit den Füßen
Zunahme der psychischen Erkrankungen
« am: 26. Juli 2011, 19:57:12 »
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mir ist heute etwas unerhörliches zu Ohren gekommen. O-Ton: "Die Zunahme der psychischen Erkrankungen geht darauf zurück, dass die Betroffenen eine erniedrigte Hemmschwelle haben, zum Arzt zu gehen." Ich denke, dass so eine Aussage nicht nur von den Betroffenen als Schlag ins Gesicht empfunden werdne kann.
Wie sieht das das Fachpublikum in diesem Forum!
Kollegiale Grüße aus Essen, IKARUS

Offline Thomas Beßen

  • Administrator
  • *
  • Beiträge: 11.191
  • - die Menschen stärken, die Sachen klären -
    • http://www.pflegesoft.de
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #1 am: 27. Juli 2011, 06:45:24 »
Gerade gestern meldete Spiegel-Online dies: "Zahl der Depressionskranken steigt dramatisch" (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,776666,00.html).
Kollegiale Grüße nach Essen zurück, Ikarus!
Thomas
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.

Offline Brady

  • Member
  • *
  • Beiträge: 184
  • FguK Bereichsleitung PTK/GTK/PIA/MIA/ZPA
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #2 am: 29. Juli 2011, 21:29:15 »
Hallo Ikarus,

ich erlebe leider genau das Gegenteil.
Die Patienten, die zu uns kommen....kommen meist nach langem, schmerzhaften Weg. Sie gestehen sich selber nicht ein, das dies eine Erkrankung ist. Hoffen, erstmal dass dies vorüber geht oder das körperliche Ursachen vorliegen. Die Scham ist immer noch sehr gross. Es wird als persönliches Versagen erlebt und ich werde bei solchen Aussagen echt sauer.
Viele Faktoren spielen eine Rolle bei psychischen Erkrankungen, aber eine "Schuldzuweisung" gehört hier nicht hin.

Liebe Grüße

Brady
Ich bin keine Schwester, ich bin eine Fachpflegekraft!

Offline IKARUS

  • Member
  • *
  • Beiträge: 2.891
  • Tanzen ist Träumen mit den Füßen
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #3 am: 30. Juli 2011, 13:09:53 »
Hallo Brady, gerne stimme ich dir zu, dass Schuldzuweisungen hier fehl am Platze sind. Sie kommen ja von Krankenkassenvertretern, die für die Kosten aufkommen sollen. Weil sie der Kosten nicht Herr werden, weisen sie die Schuld den Schwachen zu. Das Betroffene selten Krankheitseinsicht zeigen, ist ja auch bei somatisch Erkrankten zu beobachten. Für mich persönlich ist das Auseinandersetzen mit alltäglichen und besonderen Herausforderungen der sinnvollste Weg, den ich heute konsequent weitergehe. Wenns mit dem Gehen nicht klappen sollte, gehe ich auf´s Parkett und tobe mich dort aus, bis es mir besser geht. Denn:
"TANZEN IST TRÄUMEN MIT DEN FÜSSEN"
In diesem Sinne wünsche ich DIR eine gute Zeit und viel Vergnügen in unserem Beruf, IKARUS


Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.056
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #4 am: 30. Juli 2011, 14:30:34 »
Hi Leute, eine Schuldzuweisung kann die Erkrankung noch verschlechtern. Zudem ist es von den Kostenträgern eine Milchmädchenrechnung. Je länger man mit der Behandlung wartet umso komplikationtsträchtiger wird sie, und damit auch teurer.
Ein schönes wochenende dino

Offline IKARUS

  • Member
  • *
  • Beiträge: 2.891
  • Tanzen ist Träumen mit den Füßen
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #5 am: 30. Juli 2011, 14:38:50 »
Da hast Du recht Dino, aber wie bekommt so ein Fach-Wissen in die Köpfe der Verantwortlichen??
Kollegiale Grüße, IKARUS

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.056
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #6 am: 30. Juli 2011, 15:18:12 »
Hi Ikarus, einige Erklärungsversuche:
- weil es gängige Meinung ist
- weil man vordergründig "Sparen" kann
- weil es für den/die Sachbearbeiter bequem ist
- weil sich das Problem "von alleine" erledigen kann
- weil man nicht weiter denkt als ein Amboss springen kann
- weil wir eine Ellenbogengesellschaft sind
- weil es ein Konglomerat aller oben genannter Gründe ist.
Viele Grüße dino
« Letzte Änderung: 30. Juli 2011, 15:42:55 von dino »

Offline claus

  • Member
  • *
  • Beiträge: 4
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #7 am: 03. Oktober 2011, 02:12:51 »
Hallo Ikarus!
"der Unterschied zwischen einem Toten und einem Depressiven besteht darin, daß der depressive WEISS das er Tot ist" Wenn man diese dramatische Aussage eines depressiven Pat. in unserer Klinik verinnerlicht hat, prallen solche Aussagen, die offensichtlich nur aus rein wirtschaftlichen Interesse gemacht werden, doch locker von einem ab!  Patienten brauchen Hilfe - Punkt
Gruß C.

Offline Liz B.

  • Member
  • *
  • Beiträge: 11
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #8 am: 09. November 2011, 18:15:00 »
Das ist wirklich keine feine Aussage.

Als wir letztens in meiner Einrichtung die Urlaubsplanung machten, erzählte uns der (was auch immer er war), dass die Bereitschaft sich krank zu melden gestiegen ist, weil die Mitarbeiter wüssten :"Ach, es wird schon einer einspringen für mich."

Wir dreißig erschiene Mitarbeiter haben uns entsetzt angeschaut.
Wir rennen alle halbtot auf der Arbeit rum, weil wir eben NICHT wissen ob der Dienst mit unserer Krankmeldung noch abzudecken ist.

Die Frage sollte eher lauten:
"Warum erhöht sich diese Zahl?"
"Warum "retten" sich viele zum Arzt?"

Die Antwort ist zwar ein ziemlich langer Brocken, aber vieles deutet daraufhin, dass die meissten Menschen überarbeitet sind.
Haben mehrere Jobs gleichzeitig um sich über Wasser halten zu können.
Und irgendwas wollte ich noch dazu sagen, aber das ist mir jetzt irgendwie beim aufregen über Politik und Weltwirtschaft verloren gegangen  :roll:
Die Pflege ist ein selbsterklärender Prozess, zusammengesetzt aus Theorie, Erfahrung und gaaaanz viel Bauchgefühl.

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.056
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #9 am: 09. November 2011, 21:52:23 »
Ich weiß zwar nicht wo oder in welcher Einrichtung Du tätig bist aber ich mache eher die umgekehrte Erfahrung. Nämlich das ich Mitarbeiter fast mit Gewalt daran hindern muss zur Arbeit zu kommen. Wenn jemand Krank ist ist er Krank. Und je eher eine Behandlung beginnt, um so eher ist man auch wieder fit. Und bei allen mir bekannten Erkrankungen gehört Ruhe zur Therapie.
Seit mehreren Jahren hat der Leistungsdruck in allen Bereichen zugenommen. Die Finanzierung gerade der Krankenhäuser wurde heruntergefahren. Gerade im Krankenhaus kann es immer zu einem vermehrten Arbeitsanfall kommen, dafür gibt es aber auch wieder ruhigere Zeiten wo der Alltag eher plätschert. Man kann nun nicht jede temporäre Arbeitsanhäufung Personell abfangen, dass ging übrigens noch nie. Und oftmals muss man nur an der Organisationsstruktur drehen oder Arbeitsabläufe verändern und es geht einfacher. Aber dafür muss man auch bereit sein alte Zöpfe abzuschneiden. Und bevor ein großer Aufschrei kommt, ja, ich weiß, es gibt private und konfessionelle Einrichtungen wo die Arbeitsbedingungen suboptimal (beschi....) sind. Ich hab da gut Reden, da ich mich nicht beklagen kann. Wir haben einen Wunschdienstplan und richtig wichtige Sachen werden mit Kuli eingetragen. Mütter, die nur bestimmte Dienste an vordefinierten Tagen leisten können haben wir auch. Jede Dienstplangestaltung ist zwar eine Herausforderung, aber es funktioniert, und das ist die Hauptsache.
Ob sich jemand überarbeitet fühlt oder nicht ist nicht immer Systembedingt, sondern kann auch Individuell angelegt sein. Ich hab Familie mit drei Kids, einen Volltime Job und bin noch als Dozent tätig. Trotzdem hab ich noch Zeit für meine Hobbys, und Alles zusammen macht mir Spass. Vielleicht sollte man sich weniger Aufregen und mal eher das Genießen was man hat.
VG    dino

Offline Liz B.

  • Member
  • *
  • Beiträge: 11
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #10 am: 10. November 2011, 01:17:52 »
Huh,

auch hier möchte ich mich nochmals für meine Ausdrucksweise entschuldigen^
Ich arbeite in einem Pflegeheim und wir (im ganzen Haus, dass sich über 3 Wohnbereiche erstreckt) halten gut zusammen. Das ganze Haus ist ein Team( zwar nicht immer, aber das ist wie in einer guten Ehe). Zu unseren Bewohnern haben wir auch eine Beziehung aufgebaut (auch wenn man das nicht sollte...) aber irgendwie tut es einem bei jeder Krankmeldung leid, weil man eines ganz genau weiss:
Derjenige der nach kommt, macht gewisse Dinge immer falsch, die Letue kommen aus ihrem gewohnten Ablauf (und das nicht zu oft) und der auch sehr wichtig ist, und das stört sie. Irgendwie leiden sie und man selbst will das nicht. Die alten Leute haben schliesslich viel für unsere Zukunft/Gegenwart getan...
Die Pflege ist ein selbsterklärender Prozess, zusammengesetzt aus Theorie, Erfahrung und gaaaanz viel Bauchgefühl.

Offline Beate

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 463
Re: Zunahme der psychischen Erkrankungen
« Antwort #11 am: 10. November 2011, 16:40:35 »
Wir machen gerade auch eine akute Phase mit unserem besten Freund mit, auch einer in der Pflege tätiger. Auch einer, der nicht auf sich geachtet hat, uns die heile Welt "vorgespielt hat.............
Und der Meinung war, dass er von uns keine Hilfe braucht, geht schon, mach dir keine Gedanken, waren seine Argumente. Wir sind gerne für ihn da und hoffen, dass er wieder auf die Beine kommt und auch, wie Dino es beschreibt, eher mal "genießen" sollte als sich zuviel aufzuregen.
LG Beate