Ich denke, Gewalt beginnt oft bei einfachen Dingen, bleibt aber immer Ansichtssache.
Wir haben gerade so einen Fall bei uns. Ein Patient, der eine bekannte Depression hat... und wegen massiver Pleuraergüsse auf der Intensivstation liegt. Kreislaufinstabil und Katecholaminpflichtig.
Ein- wie man sich gern ausdrückt- "internistisches Polytrauma". Diabetes, Nieren- und Herzinsuffizienz, AVK... um nur einiges zu nennen.
Er lehnt jegliche ausschweifende Therapie ab... desgleichen Essen und Trinken. Auch Magensonde und ZVK.
Für ihn ist es ganz klar Gewalt, wenn er mehr als zwei kleine Braunülen hat... sogar das Anbieten von Grundpflege lehnt er entschieden ab.
Er hat Schmerzen- wurde am 1.10. Thorakoskopiert und hat mehrere Bülaudrainagen.
Bleibt jetzt die Frage... ist er in einem depressiven Schub und momentan nicht geschäftsfähig- auch aufgrund der Opiate die er bekommt?
Dann müssen wir uns über seinen Willen hinwegsetzen und ihn "zwingen". Dazu bräuchte er dann eine Fixierungsanordnung und einen vorübergehenden Betreuer im Eilverfahren- denn überreden lässt er sich leider nicht.
Gewalt? Aus seiner Sicht ganz entschieden. Aus unserer? Da sind wir Kollegen uns untereinander nicht eins. Die einen stehen auf seiner Position, die anderen eher auf der "er hat seitdem er im Krankenhaus ist seine Antidepressiva nicht bekommen, ist doch logisch dass er total depressiv ist und deswegen nicht mehr leben will".
Ich hab dazu auch einen interessanten Artikel gefunden:
Quelle:
http://www.gewalt-online.de/gewalt.phpDer Gewaltbegriff
Der Begriff Gewalt stammt von „walten“ und hat somit die ursprünglich neutrale Bedeutung „etwas bewirken zu können“. Im heutigen Sprachgebrauch hingegen hat das Wort eine meist negative Bedeutung. Im Lateinischen wird die negative Form von Gewalt („violentia“) noch von der positiven Gewalt („potestas“) unterschieden, was sich im heutigen Englisch in „violence“ und „power“ wieder findet. Der Brockhaus Multimedial 2003 definiert Gewalt wie folgt:
„Gewalt, die Anwendung von physischem oder psychischem Zwang gegenüber Menschen. Gewalt umfasst 1) die rohe, gegen Sitte und Recht verstoßende Einwirkung auf Personen (lateinisch violentia), 2) das Durchsetzungsvermögen in Macht- und Herrschaftsbeziehungen (lateinisch potestas) […]“
Eine weitere Definition aus dem dtv-Wörterbuch Pädagogik lautet:
„[…] In den Verhaltenswissenschaften wird Gewalt zumeist in Anlehnung an den Aggressionsbegriff definiert, wobei als Besonderheit von Gewalt die Anwendung von Zwang angesehen wird, durch den anderen Menschen vorsätzlich Schaden zugefügt oder Sachen zerstört werden sollen. Gewalt wird darüber hinaus im gesellschaftlichen und politischen Bereich als legitimes Zwangsmittel zur Sicherung von Recht und Ordnung (lat. potestas = Amtsgewalt), aber auch als unrechtmäßiges Mittel zur Durchsetzung von Herrschaft gegen den Willen der Opfer (lat. violentia = Gewalttätigkeit, Unterwerfung, Terror) verstanden. Auf die Vielgestaltigkeit der Gewalt verweisen Attribute wie direkte oder indirekte, offene oder versteckte, personale, institutionelle oder strukturelle Gewalt […]“
Es hat sich kein allgemeines „Gewaltverständnis“ zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen und wissenschaftlichen Fachrichtungen entwickelt. Selbst für die Pädagogik gibt es eine solche einheitliche Begriffsdefinition nicht.
Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich als Gewaltbegriff die Bedeutung der „strukturellen Gewalt“ nach Galtung durchgesetzt, die wie folgt definiert ist:
„Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potenzielle Verwirklichung.“
Gewalt in diesem Verständnis geht also nicht zwingend von einem personalen Subjekt mit einem werkzeughaften Mittel der Gewalt, sondern von einem dauernden Zustand indirekter Gewalt, z.B. in Form von gesellschaftlicher oder institutioneller Ordnungsgewalt aus.
Auch wenn dieser Ansatz des Gewaltverständnisses so weit geht, dass man dadurch fast jeden Zustand als Gewalt interpretieren könnte, ist diese Sichtweise doch von wesentlicher Bedeutung. Es wird dadurch deutlich, dass die Institutionen der Kindertagesheime und der Schule einen Einfluss durch die von ihnen ausgeübte Gewalt haben. Sie setzen die Kinder und Jugendlichen unter verschiedene Zwänge wie z.B. Anwesenheitspflicht und Verhaltensregeln, die als strukturelle Gewalt zu verstehen sind. Weiterhin zeigt die Definition von Galtung auch auf, dass nicht nur Handlungen, sondern auch bestimmte Handlungsunterlassungen als Gewalt zu bezeichnen sind.Und ein Punkt den man nach meinem Begriff auch nicht vergessen sollte- Gewalt in der Pflege unter dem Aspekt "Gewalt gegenüber Pflegenden"- egal ob gegenüber examiniertem Pflegepersonal oder pflegenden Angehörigen. Manches Mal ist die Frage was zuerst da war- Henne oder Ei. Wenn ein Pflegebedürftiger seine betreuenden Personen schlägt, wage ich zu behaupten, dass das früher oder später auf die ein oder andere Art und Weise auf ihn zurückfallen wird. Ich habe dazu in einem anderen Pflegeforum eine sehr weitläufige Diskussion verfolgt... Da gab es einige interessante Beiträge... und ich fand es erschreckend, wie alltäglich Gewalt ist- von Pflegenden aber gerade auch gegenüber Pflegenden.
Gewalt in der Pflege habe ich erlebt bevor ich meine Ausbildung angefangen habe... in meinem sozialen Jahr. Da "überraschte" ich eine Krankenschwester dabei, wie sie eine Bewohnerin eines Altenheims schlug. Was dort der Auslöser war? Frust würde ich sagen. Überlastung. Burnout.
Mögliche Prävention? Schwer. Ein gutes Team das sich auffängt hilft sicherlich. Die Freiheit zu sagen: Heute will ich nicht zu diesem Patienten, ich brauche eine Pause, ich kann das Gesicht nicht mehr sehen. Wir haben öfter mit Aggressionen zu kämpfen aufgrund manches "Patientengutes" und massivem Personalmangel. Bei uns hat es sich so eingebürgert, dass wir offen darüber sprechen. Mitzubekommen, dass man nicht nur alleine von einem Patienten "zur Weissglut gebracht" wird (so das eigene Empfinden) und natürlich das obligatorische gemeinsame Lästern hilft schon enorm die Spannung abzubauen. Und ansonsten... genug Privatleben um den Mist da zu lassen wo er hingehört. Bei der Arbeit. Damit man nicht dauerfrustriert wird.
Eine Bekannte von mir hat erzählt, dass sie bei der Arbeit große Schaumstoffknüppel haben, und wenn Bedarf ist, hauen sie damit "um sich" (natürlich nicht die Patienten).
Devise: Raus mit den Aggressionen, aufstauen bringt nur das Gegenteil. Ausleben- in anderer Form. Kanalysieren oder "Umwandeln".
Und eigentlich... wollt ich gar nicht so viel schreibseln. Naja, typisch...