Autor Thema: Psychiatrie: Willkürliche Zwangseinweisungen  (Gelesen 6820 mal)

Offline Thomas Beßen

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Psychiatrie: Willkürliche Zwangseinweisungen
« am: 12. März 2010, 07:54:59 »
"Düsseldorf. Eine noch unveröffentlichte Statistik des NRW-Gesundheitsministeriums zeigt erstmalig riesige Unterschiede bei Zwangseinweisungen zwischen den Bundesländern. Wer zum Beispiel in Bremen wohnt, trägt ein 15-mal höheres Risiko, gegen seinen Willen eingeliefert zu werden als im Saarland.

In Hamburg werde 1,5 Menschen pro 1000 Einwohner auf der Geschlossenen untergebracht, in Mecklenburg Vorpommern sind es nur 0,13 pro 1000. "Die Statistik macht klar: Diese dramatische Anordnung geschieht oft willkürlich", sagt Stefan Romberg, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Düsseldorfer Landtag und praktizierender Psychiater.

Jedes Jahr werden rund 100.000 Menschen gegen ihren Willen in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht. Formale Gründe für die Zwangseinweisung sind Selbstmordgefahr oder die Bedrohung anderer. Zugrunde liegen die Ländergesetze. Sie heißen mal das Psychisch-Krankengesetz oder das Freiheitsentziehungsgesetz und unterscheiden sich nur geringfügig.

Doch in den Parlamenten wird bislang nur wenig über diese drastische Maßnahme diskutiert. Einige Länder wie Bayern oder Hessen haben trotz mehrmaliger Anfrage des NRW-Gesundheitsministeriums keine Zahlen geliefert. Beide Ministerien konnten auf Nachfrage keine Zahlen nennen. Sie würden nicht "aktiv abgefragt".

"Fast jede Familie ist entfernt oder unmittelbar betroffen und doch wird das Problem ignoriert", sagt Romberg. "Unser Ziel sollte es immer sein, diese Freiheitsberaubung so selten wie möglich anzuwenden." Es müsse endlich untersucht werden, warum so unterschiedlich häufig eingewiesen wird. Der Liberale glaubt, dass in vielen Krisensituationen offene Psychiatrien den Menschen genauso oder besser helfen könnten.

Formal sind die Hürden für die Unterbringung der Patienten hoch: Die Einweisung muss ein Beamter des Ordnungsamtes absegnen und ein Richter den Patienten anhören. In den meisten Fällen folgt dieser dem Votum der Ärzte, und auch der Ordnungsbeamte sei derselbe, "der sich sonst um Falschparker kümmert," so Romberg.

Umstrittene Entscheidungen

Dabei sind Zwangseinweisungen hoch umstritten. Selbtshilfegruppen wie der "Verband der Psychiatrieerfahrenen" glauben, nur zehn Prozent der eingelieferten Menschen gefährde tatsächlich sich selbst oder die Umwelt. "Es ist immer eine Frage der gesellschaftlichen Zuschreibung, ob jemand als Sonderling durchgeht, ob er eine schlechte Zeit hat oder ob er als psychisch krank eingewiesen wird. Das ist Willkür", sagt ihr Vorsitzender Matthias Seibt. ..."

Quelle & mehr: Annika Joeres in http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2411248_Psychiatrie-Willkuerliche-Zwangseinweisungen.html

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Thomas Beßen
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Offline dino

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Re: Psychiatrie: Willkürliche Zwangseinweisungen
« Antwort #1 am: 12. März 2010, 19:18:39 »
Freiheitsentziehende Maßnahmen sind natürlich sehr einschneidend. Aber hochumstritten? Es bringt nichts, wenn man diese Maßnahmen polemisiert. Es gibt z. B. keine Greiferkommandos die harmlose Mitbürger mit dem Lasso einfängt. Aber zurück zur Realität. Wenn jemand eine selbsttötungsabsicht postuliert und die Pol. hinzugezogen wird, muß diese die Absicht ernst nehmen. Täte sie dies nicht, der Bürger würde sich dann etwas antun und die Beamten würden angezeigt-gute Nacht. Dottore, bitte korrigiere mich, aber ich wollte dann nicht in der Haut der Beamten stecken. Anderes Beispiel, Person im Wasser in Höhe Klärwerk Schwanheim. Eingesetzt wurden: 1 Löschzug (3Fahrzeuge), 1 Wasserrettungszug (2 Fahrzeuge), 1 RTW, 1 NAW, 2 Streifenwagen. Person gerettet, war alkoholisiert und wehrte sich massiv gegen seine Rettung. Person hatte um 1 Fl. Fusel gewettet, den Main zu durchschwimmen. Wohin mit ihm wenn keine Zwangseinweisung? Ausnüchterungszelle-keine Alternative, die Polizei fordert bei Alkohol im Spiel zu Recht eine Haftfähigkeitsbescheinigung eines Arztes. Unterschreibt er, trägt er die Verantwortung. Anderes Beispiel: Alk.-Kontrolle durch Pol., ein Bürger muß den Lappen abgeben und äußert SV-Absichten- Was tun?, siehe oben. Falls feststehen sollte, dass eine weitere Unterbringung nötig ist, ist die Überprüfung durch einen Richter keine Formalität. Dieser setzt sich mit dem Pat. auseinander und die Überprüfung kann durchaus so ausgehen, dass der Patient gehen kann. Und wenn er sich dann suizidiert hat der Richter eben eine falsche Entscheidung getroffen.
Und nun kommen wir zu denen, die bewußt eine Einweisung provozieren. Auch da gilt, wenn etwas passiert steht der Staatsanwalt bereit. Und all jene, die heute lauthals aufschreien weil es so viele Zwangseinweisungen gibt, sind die, die Morgen aufschreien weil eine massive Fremd-oder Eigengefahr entstanden ist und keiner reagierte. Man bewegt sich immer in einem Spannungsfeld und man muß individuell abwägen und seine Entscheidung treffen. Insgesamt gesehen kann ich nur feststellen, dass weder präklinisch noch klinisch jemand nur so gegen seinen Willen festgehalten wird. Es erscheint einem manchmal fraglich, aber letzten Endes nehme ich die Äußerungen ernst. Und wenn jemand akute Frem- oder Eigengefährdungsabsichten äußert muß man reagieren.