"Endlich keine Schmerzen mehr!"
Schmerz: An sich eine sinnvolle Erfindung der Natur. Ein Warnsignal, wenn wir uns verletzen, wenn unsere Gesundheit in Gefahr gerät: „Achtung! Die Hand von der heißen Ofenplatte nehmen!“ Ohne Schmerz würden wir nicht wahrnehmen, wenn etwa der Blinddarm entzündet ist - die Folgen wären fatal. Wir würden uns permanent überlasten, weil wir nicht erkennen könnten, wenn uns der Körper Grenzen setzt. Ein Leben ohne Schmerzen - nahezu undenkbar.
Ein Leben mit Schmerzen allerdings ist für viele Menschen unerträglich, vor allem, wenn das Leiden chronisch geworden ist. Millionen von Deutschen sind betroffen - der eine mehr, die andere weniger. Migräne, Arthrose, Phantomschmerzen. Genauso: Rheuma oder Gicht, Nervenschmerzen nach einer Gürtelrose oder einer Entzündung von Gesichtsnerven. Viele Betroffene leiden mehr, als nötig wäre - denn (chronische) Schmerzen kann man heute auf vielerlei Arten und sehr erfolgreich behandeln.
Allerdings sind selbst Ärzte mit Schmerzpatienten oft überfordert - einerseits, weil die Ursachenforschung oft schwierig ist, andererseits, weil die Behandlung umfangreiches schmerztherapeutisches Fachwissen voraussetzt. Darum gibt es heute Spezialambulanzen, in denen Experten aus verschiedenen medizinischen Disziplinen zusammenarbeiten: Anästhesisten, Neurologen, Psychologen, Physiotherapeuten ...
Wie entsteht Schmerz?
Die „Physiologie des Schmerzes“ ist ein sehr komplexes Geschehen. Wenn wir uns „weh tun“, hat das Nervennetzwerk in unserem Körper eine gewaltige Datenflut zu verarbeiten. Zumindest beim akuten Schmerz ist dieses Netzwerk mit einem Großteil seiner „Rechenarbeit“ bereits fertig, bevor unser Bewusstsein überhaupt registriert, dass wir Schmerzen haben.
Am Ort der Verletzung werden aus bestimmten Körperzellen Botenstoffe freigesetzt (z.B. Prostaglandine). Diese dringen ins Gewebe und reizen dort die fein verästelten Endigungen von Nervenzellen. Darin entstehen elektrische Signale (Aktionspotenziale), die zunächst bis ins Rückenmark weitergeleitet werden. Je stärker der Reiz, um so höher die Anzahl der elektrischen Impulse, die im Rückenmark eintreffen. Dieses hat die Funktion einer ersten „Schaltzentrale“. Liegt unsere linke Hand auf der heißen Ofenplatte, werden bereits im Rückenmark „motorische Nerven“ und dadurch bestimmte Muskeln aktiviert. Folge: Reflexartig ziehen wir die Hand aus der Gefahrenzone.
Im Rückenmark geschieht noch mehr: Der Schmerzreiz wird an Nervenstränge weiter gegeben, die zum Gehirn führen. Allerdings kommt nicht jeder Reiz dort „ungebremst“ an. Im Rückenmark wird die Flut von Reizen gefiltert - und nur wenn ein solcher wirklich „wichtig“ ist, wird er weiter geleitet zum Gehirn. Beteiligt sind an dieser Filterfunktion bestimmte Nervenzellen des Rückenmarkes, die in der Lage sind, die Weiterleitung von Reizen zu hemmen - d.h. zu reduzieren oder sogar zu unterbinden. Genau diese Zellen stehen heute im Visier der Schmerzforscher, da viele Therapieverfahren möglicherweise (unter anderem) über eine Aktivierung dieser „hemmenden Nervenzellen“ (Interneurone) zu erklären sind.
Auch das Gehirn dient zunächst als Umschaltstation. Im Hirnstamm, Zwischen- und Mittelhirn „verzweigen“ sich die ankommenden Reize - und werden schließlich in verschiedene Regionen der Großhirnrinde weiter geleitet. Diese Regionen werden erregt - und „formen“ unsere Empfindung. Grob vereinfacht spielen dabei vor allem zwei sehr unterschiedliche „Hirnbereiche“ eine Rolle: Der erste bringt Informationen in unser Bewusstsein wie etwa: „An der linken Handfläche kommt es seit wenigen Sekunden zu einer durch Hitze verursachten, starken Schädigung von Körpergewebe...“. Der zweite Bereich liefert dazu die „emotionalen Informationen. „Verflixt, das brennt wie Feuer, ist äußerst unangenehm und könnte dazu führen, dass ich nie wieder Klavier spielen kann...!“ Auch diese nicht ganz neue, aber erst vor kurzen wirklich bewiesene Erkenntnis beschäftigt die Forscher: Wenn das Schmerzerleben Resultat des Zusammenspiels unterschiedlicher Hirnbereiche ist, so bieten diese Bereiche möglicherweise völlig unterschiedliche Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Schmerztherapie.
Wenn der Schmerz chronisch wird...
Die bisher geschilderte „Physiologie des Schmerzes“ ist eine sinnvolle, ja (lebens)-notwendige Reaktion unseres Körpers. Sie dient dazu, das Ausmaß „körperlicher Schäden“ zu begrenzen. Wenn Schmerz chronisch wird, liegt es oft daran, dass Teile dieser sinnvollen Reaktion nicht mehr ganz nach Plan ablaufen - oder sogar völlig außer Kontrolle geraten.
Kennzeichen des chronischen Schmerzes sind (unter anderem), dass dieser über Wochen, Monate oder Jahre anhält, oft ohne schmerzfreie Intervalle. Soziales und berufliches Leben sind dadurch meistens stark beeinträchtigt, die Lebensqualität ist deutlich reduziert. Häufige Folge: Psychische Probleme - bis hin zum Suizid.
Allerdings - und das macht die Behandlung chronischer Schmerzen schwierig: Hinter den oben genannten, sehr allgemeinen Gemeinsamkeiten können unterschiedlichste Ursachen stecken. Beispiele:
Schmerzen bei einer Krebserkrankung. Durch das Wachstum des Tumors oder die Bildung von Metastasen wird fortwährend gesundes Körpergewebe geschädigt - was, wie oben beschrieben, Schmerzen verursacht. Das kann zu Dauerschmerzen führen, die tatsächlich „organisch bedingt“ sind. Das heißt: Schmerzursache und Schmerzerleben stehen in einem nachvollziehbaren Zusammenhang. Dasselbe gilt für „chronische Erkrankungen“ wie z.B. Rheuma.
Nervenschmerzen. Häufige Ursachen dafür: Die Gürtelrose oder die Entzündung von Gesichtsnerven (z.B. Trigeminusneuralgie), auch: Die Verletzung von Nerven bei Operationen. Im akuten Stadium der Erkrankung kann es zu einer Schädigung des betroffenen Nervens kommen - die bestehen bleibt, auch wenn die Krankheitssymptome längst abgeklungen sind. Der Nerv selbst „produziert“ dann Schmerzreize - und sendet diese an das Gehirn.
Psychogene oder psychosomatische Schmerzzustände. Oft dadurch gekennzeichnet, dass Schmerzregion und -charakter nur unklar beschrieben werden können oder sich wandeln. Extrembeispiel ist die „larvierte Depression“ - eine Sonderform der Gemütskrankheiten, bei der sich die psychischen Symptome als organische Empfindungen, als „schmerzhafte Veränderung der Körperwahrnehmung“ ausdrücken.
Chronische Schmerzen nach Verletzungen, z,B. nach Unfällen. Das ursprünglich betroffene Wundgebiet bleibt auch nach Abschluss der „Heilung“ schmerzhaft oder schmerzüberempfindlich. In diese Kategorie gehören auch Narbenschmerzen. Kennzeichen ist, dass das Schmerzempfinden oft erheblich ausgeprägter ist als die „nachvollziehbaren organischen Veränderungen“.
(Die Liste ließe sich fortsetzen: Phantomschmerzen, Schmerzen bei Fibromyalgie, chronische Kopf-, Nacken oder Rückenschmerzen bei Fehlhaltung oder Wirbelsäulenschäden...)
Was geschieht, wenn Schmerzen chronisch werden?
Man weiß heute viel über Veränderungen im Nervennetzwerk bei chronischen Schmerzen. Besonders interessant sind zwei Punkte:
Das Schmerzgedächtnis: Unser Nervensystem ist in der Lage, sich auf bestimmte Schmerzreize „einzustellen“. Insbesondere gilt das für den Fall, dass „typische Reize“ wiederholt auftreten. Je häufiger zum Beispiel (im Experiment) ein elektrischer Impuls Schmerzen an unserem Handrücken verursacht, um so heftiger wird dieser Schmerz von mal zu mal wahrgenommen. Anders betrachtet: Um in unserem Bewusstsein das selbe „Schmerzerleben“ zu provozieren, sind immer schwächere Reize ausreichend. Irgendwann dann wird bereits die sanfte Berührung als „Schmerz“ interpretiert. Es scheint, als würde das Nervennetzwerk bei der Wiederholung eines bestimmten Reizes diesem zunehmend eine höhere Priorität einräumen - d.h. ihn vorrangig und mit größerer Intensität dem Gehirn präsentieren. Betrachtet man Schmerz als Warnfunktion, so scheint die dritte Warnung wesentlich deutlicher auszufallen als die erste. Das mag erklären, warum ehemals verletzte oder früher stark schmerzhafte Körperregionen auch nach der (Wund)-heilung eine Schmerzüberempfindlichkeit (Hyperalgesie) aufweisen.
Der Untergang hemmender Nervenzellen im Rückenmark (s.o.). Man weiß heute, dass das Rückenmark (Schmerz)-reize filtern kann - und dass dafür bestimmte Nervenzellen zuständig sind. Diese können sogar „willkürlich dazu aufgefordert“ werden, bestimmte Schmerzreize zu hemmen. Stoßen wir mit dem Ellenbogen - dem so genannten „Mäuserl“ - an eine Tischkante, erzeugt das einen sehr unangenehmen Schmerz. Fast reflexartig greift in diesem Fall fast jeder mit der anderen Hand an den betroffenen Ellenbogen, reibt, drückt oder massiert die schmerzende Stelle. Genau das wiederum aktiviert die „hemmenden Nervenzellen“ (Interneurone) im Rückenmark, die für den „Mäuserl-Nerven“ zuständig sind - mit dem Resultat, das der Schmerz (ein wenig) nachlässt.
Allerdings: Nervenzellen sind empfindlich. Werden sie zu stark, zu lange oder zu oft gereizt, können sie Schaden nehmen, sogar absterben (Apoptose). Das kann auch die hemmenden Nervenzellen im Rückenmark treffen - mit der Folge, dass „der Filter Löcher bekommt“. Signale, die normalerweise im Rückenmark „gebremst“ würden, bombardieren dann „mit voller Wucht“ das Gehirn. Der Effekt ist derselbe wie beim Schmerzgedächtnis: Bereits leichte oder unbedeutende Reize lassen uns „Schmerz empfinden“.
Schmerzambulanzen - für wen?
Menschen mit chronischen Schmerzen stoßen beim Arztbesuch oft an Grenzen. Folge: Die Odyssee von einem Arzt zum anderen - oder die Einnahme unzähliger Schmerzmittel in großer Menge, bis hin zum Medikamentenmissrauch. Für solche Patienten gibt es Anlaufstellen - Spezialambulanzen für Schmerztherapie. Diagnostik und Behandlung ist in der Regel fachübergreifend orientiert - auf gut deutsch: Das Schmerzkonzept ist multimodal, die Therapie interdisziplinär... und das ist wichtig: Die Behandler haben vergleichsweise viel Zeit für den einzelnen Patienten, so dass nach individuellen Ursachen gefahndet und ein individuelles Behandlungskonzept erstellt werden kann. Das heißt andererseits: Die Türen der Spezialambulanzen stehen (vor allem) Menschen mit gravierenden Schmerzproblemen offen. Nicht gedacht sind diese Einrichtungen für denjenigen, der gelegentlich mal Kopfschmerzen hat.
Therapieverfahren
So, wie die Ursachen für chronische Schmerzen äußerst vielschichtig sein können, ist es auch die Therapie. „Multimodales Behandlungskonzept“ nennen Schmerztherapeuten das Paket aus einzelnen Bausteinen, das für jeden Patienten individuell „geschnürt“ werden sollte.
Medikamente: Sie spielen natürlich eine große Rolle in der Behandlung chronischer Schmerzen. Dennoch ist es nur selten sinnvoll, allein auf Schmerzmittel zu setzen. Im Gegenteil: Oft werden in Schmerzambulanzen die Medikamente (zunächst) reduziert oder sogar ganz abgesetzt. Beispielsweise bei Kopfschmerzen können es nämlich die Pharmaka selbst sein, die den Schmerz unterhalten. Man spricht dann vom „medikamenteninduzierten (Kopf-)schmerz“. Bei vielen Schmerzpatienten kommt es im Laufe der Zeit sogar zu einer regelrechten Medikamentenabhängigkeit. Gefährdet sind vor allem solche Menschen, die mit dem Behandlungsergebnis nicht (wirklich) zufrieden sind - die dann von einem Arzt zum anderen ziehen und ein Rezept nach dem anderen in die Apotheke tragen.
Die Suche nach den richtigen Medikamenten - eine individuelle und oft langwierige Prozedur. Bausteine der pharmakologischen Schmerztherapie sind neben örtlichen Betäubungsmitteln, die vor allem für Nervenblockaden (s.u.) eingesetzt werden die so genannten „peripher wirksamen Analgetika“. Zu diesen gehören bekannte Substanzen wie Paracetamol oder Acetylsalicylsäure. Bei vielen Schmerzerkrankungen allerdings sind stärkere Analgetika erforderlich - in der Regel Opiate. Diese gibt es heute auch als Medikamentenpflaster. Allerdings besteht - bei Patienten wie bei vielen Ärzten - noch immer eine gewisse bis große Scheu, Opiate einzusetzen. Angst vor Abhängigkeit oder Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Benommenheit verhindern oft, dass effektiv behandelt wird. Das muss (und darf) nicht sein! Moderne Präparate, Dosierungsempfehlungen und Medikamentenkombinationen machen eine wirkungsvolle und nebenwirkungsarme Therapie mit Opiaten möglich. Bewährt haben sich Kombinationen mit Medikamenten gegen Krampfanfälle (Antiepileptika) und bestimmten Psychopharmaka (Antidepressiva).
Nervenblockaden: Unter Umständen können Schmerzen effektiv dadurch behandelt werden, dass die den Schmerz leitenden Nerven mit örtlichen Betäubungsmitteln blockiert werden. Je nach Art und Lokalisation der Schmerzen geschieht das durch eine einfache Injektion, durch die Anlage eines „Schmerzkatheters“ oder sogar durch die gezielte Blockade bestimmter Nervenstrukturen unter Röntgenkontrolle oder im Computertomografen. Dauerhafte Nervenblockaden können unter Umständen operativ durchgeführt werden.
Physikalische Verfahren: Oft sind chronische Schmerzen das Resultat eines Teufelskreises - zum Beispiel bei Rückenschmerzen. Fehlbelastung führt zu Schmerzen - Schmerzen schränken die Beweglichkeit ein - das wiederum führt zu erneuter Fehlbelastung. In solchen Fällen können krankengymnastische Übungen ebenso helfen wie Massagen oder Entspannungsverfahren. Zum Teil werden diese Bausteine zu regelrechten Programmen kombiniert - z.B. zum Münchner Rücken-Intensivprogramm, einem Angebot der Großhaderner Schmerzambulanz.
TENS: Die „transcutane elektrische Nervenstimulation“ gehört heute zu den Standardverfahren in der Schmerztherapie. Stromimpulse, die über das betroffene Gebiet laufen, bewirken eine Stimulation des körpereigenen Schmerzhemmprogrammes: Zum einen kommt es zur Aktivierung der oben beschriebenen Nervenzellen im Rückenmark, welche die Schmerzweiterleitung ans Gehirn hemmen können. Zum anderen werden „körpereigene Schmerzmittel“ (z.B. Endorphine) ausgeschüttet, die über bestimmte Rezeptoren im Nervengewebe zur Schmerzreduktion führen.
Akupunktur: Heute belegen zahlreiche Studien die Wirksamkeit diese uralten Heilverfahrens aus China. Der Wirkmechanismus ist vergleichbar mit dem der TENS, es kommt zu einer Aktivierung des körpereigenen Schmerzhemmprogrammes.
Naturheilverfahren: Zahlreiche Verfahren aus westlichen wie fernöstlichen Kulturen werden heute ergänzend zu anderen Behandlungsbausteinen in der Schmerztherapie eingesetzt. Dazu gehören Qigong und die Muskelrelaxation nach Jacobsen, die Atemtherapie, Akupressur, Reflexzonenmassage... und viele andere. Großen Anteil an ihrer Wirksamkeit hat vor allem die damit verbundene Entspannung. Den Kopf ausschalten, den Körper wahrnehmen, Ablenkung vom Schmerz erfahren. Ein „naturheilkundliches Schmerzprogramm“ gibt es an der Uniklinik München Innenstadt - dieses ist inzwischen sogar mit dem „Klinikförderpreis“ gekrönt worden.
Natürlich gibt es zahlreiche weitere Therapieverfahren. Diese Liste beschränkt sich auf eine Auswahl wichtiger und häufig eingesetzter Behandlungsformen.
Quelle: Die Sprechstunde, Bayerischer Rundfunk