Autor Thema: Medizininfos aus dem Netz - Wenn Patienten ihre Galle selber spülen  (Gelesen 4751 mal)

Offline Thomas Beßen

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"Ein großes Glas Olivenöl, dazu Grapefruitsaft, dann nochmal hundert Gramm Bittersalz in Wasser gelöst - mit dieser Rosskur aus dem Internet wollte ein Patient seine Gallensteine bekämpfen. Und tatsächlich: Jeden Morgen fand er kleine Steinchen im Stuhl. Nur waren es nicht seine Gallensteine.

Es ist nicht einfacher geworden für Ärzte im Internetzeitalter. Patienten sind zwar häufig besser informiert über Krankheiten und Symptome. Was ein Segen ist, kann aber auch zum Fluch werden, den ein Arzt jedes Mal dann zu spüren bekommt, wenn ein Patient schon beim Reinkommen anmeldet: "Herr Doktor, ich habe da im Internet etwas gelesen, ich glaube, ich weiß schon was ich habe."

Besonders problematisch wird es, wenn Patienten anfangen sich selbst zu therapieren, nach Anleitungen irgendwelcher obskurer Heiler oder gemäß den Tipps in Gesundheitsforen im Internet. "Wir erleben in unserer täglichen Praxis immer häufiger, dass Patienten Selbstdiagnosen und Selbstbehandlungen auf der Basis von Wissen stellen, das sie durch Internetrecherche akquiriert haben", sagt Nils Ewald vom Universitätsklinikum Gießen.

Der Internist hat vor einem halben Jahr einen ganz typischen Fall von Selbsttherapie erlebt. Beschrieben hat er ihn jetzt in der aktuellen Ausgabe der Deutschen Medizinischen Wochenschau (DMW).

Bei einem 59-jährigen Mann waren bei einer Ultraschalluntersuchung Gallensteine nachgewiesen worden. Da die Steine keine Probleme bereiteten, gab es keinen Grund sie zu behandeln. Der Mann war offenbar anderer Meinung und hatte im Internet nach schonenden Therapien gesucht, um sie wieder los zu werden. Dabei war er auf ein häufig empfohlenes "Leberreinigungsprogramm gegen Gallensteine" gestoßen, eine alternative Entschlackungskur, die die Steine aus dem Körper befördern soll.

"Trotz der Kur hatten sich die Gallensteine überhaupt nicht verändert"

Ganz nach der Devise: "Gute Medizin muss bitter schmecken" zog er alle vier Wochen immer die gleiche Prozedur durch: Nach einer zwölfstündigen Fastenkur trank er zunächst ein großes Glas Olivenöl (400 Milliliter), gefolgt von 100 Millilitern Grapefruitsaft. Dann mischte er hundert Gramm Magnesiumsulfat, auch als Bittersalz bekannt, in 800 Milliliter Wasser. Diese Mixtur trank er verteilt über zwölf Stunden. Damit die Therapie ihre Wirkung auch voll entfalten konnte, legte er sich wie vorgeschrieben jedes Mal auf den Rücken, um die Trinkkur durchzuführen.

Der Erfolg stellte sich zuverlässig am nächsten Morgen ein. Internist Ewald: "Der Patient fand im Stuhl etwa hundert grünlich-gelbliche steinartige Gebilde, die man durchaus für Gallensteine halten könnte." Die Therapie funktionierte offensichtlich, also machte der 59-Jährige weiter. Da die Steine aber nach vier Trinkkuren nicht weniger wurden, fotografierte er sie und zeigte sie seinem Hausarzt. Der schickte ihn angesichts der "massiven Neigung zu Gallenstein" in die Gastroenterologie der Uniklinik Gießen zu Nils Ewald.

Ewald checkte die Gallensteine zunächst mit dem Ultraschall, von Anfang an skeptisch was den Erfolg der alternativen Leberreinigung anging. Sein Verdacht bestätigte sich: "Trotz der Kur hatten sich die Gallensteine überhaupt nicht verändert. Es waren genau so viele, sie hatten die gleiche Form und Größe." Doch woher stammten dann die ausgeschiedenen Steinchen des Patienten? Der Internist begannen im Internet zu recherchieren: "Wir fanden weit über 500.000 Einträge zu Stichworten wie 'Leberreinigung' und 'Gallenspülung', oder dem Englischen 'gallstone flushing' oder 'liver cleansing'", sagt Ewald. Zur Überraschung des Mediziners priesen auch einige von ihm befragte Heilpraktiker die Methode an. In der medizinischen Fachliteratur fand er hingegen nichts, was modernen Kriterien einer guten Therapie entspricht.

Ewald beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Er ließ die vermeintlichen Gallensteine seines Patienten im Labor untersuchen. Das Ergebnis war eindeutig: keine Gallensteine. "Es fehlte die typische kristalline Struktur", sagt Ewald. Die chemische Analyse konnte auch keine gallensteintypischen Bestandteile nachweisen, kein Cholesterin, kein Bilirubin, kein Kalzium. Stattdessen Fettsäuren. Die waren für Ewald der Hinweis, dass die schmierigen Steinchen durch den chemischen Prozess der Verseifung entstanden waren. Die Ausgangsprodukte für die im Englischen auch 'soap stones' genannten Krümel, hatte der Patient sich alle vier Wochen selbst zugeführt: fettiges Olivenöl, sauren Grapefruitsaft und die Bittersalzlösung.

Die vermeintlich harmlose Prozedur kann in seltenen Fällen böse enden

Um ganz sicherzugehen, dass die vermeintlichen Gallensteine eine Ergebnis der alternativen Entschlackungskur waren, wagten Ewald und zwei seiner Kollegen einen wagemutigen Selbstversuch. "Das hat ja eine schöne Tradition in der Naturwissenschaft", sagt er schmunzelnd. Auf die Frage, wie man fast einen halben Liter Olivenöl herunterbekommt, meint er nur: "Reine Willenssache." Vor dem Versuch hatten die Mediziner per Ultraschall und Untersuchungen ausgeschlossen, dass sie Gallensteine hatten. Das Ergebnis der Entschlackungskur war eindeutig: "Wir drei schieden alle dieselben Steinchen aus wie unser Patient." Übrigens völlig schmerzlos.

Die ganze Geschichte ist für Ewald und seine Kollegen ein klarer Beleg für ein allgemeines Problem: "Seriöse und objektive medizinische Informationen sind für einen Laien nur schwer von persönlichen Meinungen einzelner Internetautoren oder gar von Scharlatanerie zu trennen." Der 59-jährige Patient hätte sich indes einiges ersparen können, hätte er nur richtig gesucht. Denn es gibt durchaus Seiten, die vor den Leberreinigungsmethoden warnen, zum Beispiel auf Esowatch.com, einem Wikipedia-ähnlichen Lexikon über Pseudowissenschaft, Esoterik und Verschwörungstheorien. Auf der Skeptiker-Seite wird schnell klar, das es sich um eine pseudomedizinische Therapie handelt. Und: Die vermeintlich harmlose Prozedur kann in seltenen Fällen böse enden. 2006 berichteten Mediziner von einem Zwischenfall nach einer "alternativen Leberreinigung". Die Bauchspeicheldrüse, die angesichts der Fettmengen Schwerstarbeit leisten musste, hatte sich entzündet. Der Patient landete im OP.

Der 59-Jährige scheint indes überzeugt von der Methode. Als der Internist noch mal mit dem Hausarzt telefonierte, um ihm die Ergebnisse der genauen Analysen mitzuteilen, erklärte der: Der Patient reinige seine Leber nach wie vor mit der öligen Entschlackungskur. Und habe jeden morgen sein krümeliges Erfolgserlebnis.

Anmerkung der Redaktion : In einer ersten Version dieses Textes hieß es, der 59-jährige Patient habe sich in der Uniklinik Göttingen behandeln lassen. Tatsächlich aber war es die Uniklinik Gießen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen."


Guten Abend!
Thomas Beßen

p.s.: Nieren selber spülen geht wohl besser und schmeckt auch besser... 8-)


Quelle: Marcus Anhäuser in http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,648156,00.html
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.