Schweinegrippe - "Keiner weiß, wie das Virus mutiert"
Wie gefährlich ist die Schweinegrippe? Ein Streitgespräch mit den Biologen Beda Stadler und Johannes Löwer über Pandemien, Evolution und mangelnde Impfstoffe"
Herr Löwer, Herr Stadler, haben wir bei der Schweinegrippe Glück gehabt?Löwer: Bis jetzt ja. In Europa ist die Ausbreitung beschränkt und der Verlauf milde. Ob das Glück von Dauer ist, weiß ich nicht.
Stadler: Positiv stimmt mich, dass wir unbekannte DNA-Sequenzen gefunden und schnell analysiert haben. Diesbezüglich waren wir gut vorbereitet und haben zudem unser Wissen über die Influenza-Viren erweitern können. Wenn man aber bedenkt, dass es sich um ein H1N1-Virus handelt, dann sind wir knapp an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Wir haben Glück gehabt, dass es so harmlos ist.
Von Glück haben die Behörden am Anfang nicht gesprochen. Die haben so getan, als hätten sie alles im Griff - und haben vor Panik gewarnt.
Löwer: Wieso hätte die Bevölkerung auch in Panik ausbrechen sollen? Erst war das Virus ja gar nicht in Deutschland, und seit es da ist, gibt es nur Einzelfälle, deren Verlauf zudem noch ungefährlich ist.
Das konnte man am Anfang aber noch gar nicht wissen?Stadler: Deshalb sage ich: Panik, Hysterie und große Sorge - das alles ist am Anfang berechtigt. Wir brauchen eine Art Hyperreaktion - auf jeden Fall bei den Spezialisten; so ähnlich wie unsere Lawinenwarnstationen in der Schweiz. Phase 5 in der WHO-Warnung war vielleicht übertrieben. Fest steht aber, wir müssen das Schweinegrippen-Virus sorgfältig beobachten. Dafür benötigen wir eine bessere internationale Überwachung im Hintergrund, ohne die Bevölkerung zu beunruhigen.
Was wäre gewesen, wenn wirklich eine Pandemie ausgebrochen wäre? Stadler: Dann wären wir zu spät gewesen, weil am Anfang falsch reagiert wurde: zu wenig ernst. Da sind Leute mit Fieber in Deutschland aus dem Flieger gestiegen, sind im Zug von Frankfurt nach Hamburg gefahren. Das wäre die erste virale Spur gewesen.
Löwer: Ich sehe das nicht so. Was besser hätte laufen können, war die Überwachung der Fälle in Mexiko. Wie viele andere Länder der Welt, war Mexiko nicht in der Lage, das Virus als etwas Neues zu identifizieren. Das führte zu einer Verzögerung. Ich finde, dass die Maßnahmen, die relativ rasch ergriffen worden sind, adäquat waren.
Ist es bei einer Pandemie-Warnung angemessen, wenn die Gesundheitsämter der Länder empfehlen, erst zum Arzt zu gehen, wenn Symptome auftreten? Hätte man Mexiko-Rückkehrern nicht klar machen müssen, dass sie auch ohne Symptome Viren-Träger sein und viele Leute während der Inkubationszeit, immerhin bis zu drei Tage, anstecken könnten?Löwer: Natürlich. Allerdings gibt es keine Maßnahmen, mit denen man sich absolut abschotten kann. Das wäre ein enormer Aufwand! Viren lassen sich nicht durch einen Mundschutz aufhalten. Man müsste deshalb nicht nur die Flieger untersuchen, die aus Mexiko kommen, sondern auch die, in denen Leute sitzen, die in London, Paris oder New York umgestiegen sind. Alleine aus den USA treffen am Frankfurter Flughafen pro Tag 15 000 Passagiere ein. Wie wollen Sie da absolut dichtmachen? Das geht gar nicht!
Von totaler Abschottung reden wir auch nicht, aber von besserem Schutz der Bevölkerung durch Informationen, die alle Risiken berücksichtigen.
Löwer: Man sollte mehr Wert auf Quarantäne-Maßnahmen legen, das schon. Natürlich sollte man die Leute nicht einsperren, aber man sollte die Übertragungskette unterbrechen: Schulen schließen, zu Hause bleiben - das sind die Dinge, die man machen muss.
Stadler: Es ist ja völlig klar, dass man das nie in den Griff kriegt. Aber man hätte gewisse Grundregeln ernster nehmen sollen. Fieber kann man einfach mit einem digitalen Thermometer messen. Es würde nicht einmal die Flugreise verteuern, wenn man einige in die Maschine mitnähme. Deshalb sage ich: Die Pandemiepläne müssen angepasst werden. Die Erstreaktion muss schneller sein.
Überwachung, Erstreaktion, Quarantäne: Wäre es angesichts des grenzüberschreitenden Verkehrs nicht sinnvoll, die Organisation solcher Maßnahmen in die Hände des Bundes zu legen, anstatt sie weiterhin auf die Länder zu verteilen? Löwer: Die Frage wird immer wieder diskutiert. Es wäre sicher von Vorteil, wenn das in den Händen des Bundes läge.
Stadler: Das ist ein ganz wunder Punkt, auch bei uns in der Schweiz. In einem Kanton wurden bereits Quarantänemaßnahmen angeordnet, im anderen konnten Passagiere aus einem von der Schweinegrippe betroffenen Flugzeug noch frei herumlaufen. Ein weiteres Problem ist, dass die Entscheidungen von Beamten getroffen werden, die unter dem Druck von Politikern stehen. Ich wünsche mir eine unabhängige Krisenkommission.
Löwer: Da muss ich Ihnen widersprechen, Herr Stadler. Ich bin Beamter und habe nie erlebt, dass die Politiker uns beeinflusst haben. Schwierig ist die Angemessenheit von Maßnahmen. Da kennen sich Beamte einfach besser aus als unabhängige Wissenschaftler, die weder um Struktur noch Möglichkeiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes wissen.
Stadler: Das sehe ich nicht so. Nach dem Ausbruch der Spanischen Grippe 1918 haben die Behörden in New York einen Protestzug mit mehr als 1000 Personen erlaubt. Wissenschaftler hatten die Regierung gewarnt - ohne Erfolg. Heute rechnet man, dass allein aufgrund dieses Umzugs tausende Menschen infiziert wurden und gestorben sind.
Löwer: Ich hoffe doch, dass die Behörden in 100 Jahren dazugelernt haben.
Stadler: Sind Sie sich da wirklich sicher?
Löwer: Schauen Sie doch, mit welcher Geschwindigkeit in Mexiko reagiert wurde! Nicht nur Massenveranstaltungen wie Fußballspiele wurden verboten, viele Sonntagsgottesdienste fielen sogar aus.
Stadler: Mexiko ist ein Land, dessen Medien genüsslich jedes Todesopfer zeigen. Wenn es diesen Medien-Hype nicht gegeben hätte, dann hätten die mexikanischen Behörden viel sorgloser gehandelt.
Sind Sie sich sicher, dass die neuen, niedrigen Zahlen stimmen? Deuten die Infektionszahlen außerhalb von Mexiko nicht eher darauf hin, dass die Zahlen auch in Mexiko sehr viel höher sind? Stadler: Das ja. Auch sind die Virus-Schnelltests sehr unzuverlässig. Wir werden erst später über die Antikörper feststellen können, wie stark sich das Virus tatsächlich verbreitet hat.
Das Virus scheint sehr ungewöhnlich zusammengesetzt zu sein. Was weiß man denn darüber?
Löwer: Die Basis aller Erkenntnisse liegt darin, dass die Vereinigten Staaten, wie einige andere Länder auch, eine relativ gute Influenza-Überwachung haben. Und in den Vereinigten Staaten hat man einige harmlose Verläufe gehabt. Deshalb konnte man schnell feststellen, dass es sich um ein Influenza-A-Virus handelt. Es gelang allerdings erst mal nicht, die Subtypisierung durchzuführen. Aber die Amerikaner haben nicht locker gelassen, bis sie das Virus isoliert und sequenziert hatten. Die Ergebnisse wurden dann in der wichtigsten Zeitschrift der Epidemiologen veröffentlicht – noch bevor der Öffentlichkeit bekannt war, dass dieses Virus in Mexiko großflächig ausgebrochen war. Ich interpretiere die Geschehnisse so: Die Mexikaner sind erst wach geworden, als sie feststellten, dass das Virus bei ihnen identisch mit jenem ist, das die Amerikaner gefunden haben.
Stadler: Wir müssen immer auf der Hut sein, wenn sich ein Virus explosionsartig ausbreitet, also exponentiell. Und so sah es anfangs in Mexiko aus: Sofort 1000 Ansteckungen und 100 Todesfälle. Also eine zehnprozentige Sterberate bei hoher Häufigkeit. Die Amerikaner haben es unbewusst übernommen; die hatten auf ihrer Homepage am Anfang 20 Fälle, am nächsten Tag 40 – jetzt würde man bei einem normalen Logarithmus eigentlich am dritten Tag 80 erwarten. Aber es waren dann nur 67, und von da an flachte die Kurve ab. Wenn sich so viele Leute anstecken, kann das Virus offensichtlich unauffällig verlaufen und trotzdem hochinfektiös sein. Es wäre interessant, eine Computersimulation zu machen – bei der würde sich das Virus dann wahrscheinlich als harmloser herausstellen, als die saisonale Grippe.
Die Spanische Grippe von 1918 hatte die Eigenheit, dass die erste Welle sehr harmlos verlaufen ist. Anschließend starben bis zu 50 Millionen Menschen. Ist es auszuschließen, dass uns bei der Schweinegrippe noch das Schlimmste bevorsteht?Löwer: Mit Prognosen halte ich mich zurück. Kein Mensch kann sagen, wie sich das Virus entwickelt. Wir rechnen damit, dass in den nächsten Tagen Impfviren zur Verfügung stehen werden. Die Forscher sind viel schneller vorangekommen als gedacht. All das war 1918 nicht möglich; weder konnte man ein Virus nachweisen, noch einen Impfstoff entwickeln.
Stadler: Ich denke, es wird nie mehr so schlimm wie bei der Spanischen Grippe. Wir sind heute ganz andere Menschen. Bei der Spanischen Grippe war die Bevölkerung vom Krieg ausgezehrt, viele starben an Sekundärinfekten wie Lungenentzündung.
Trotzdem – erst Sars, dann die Vogelgrippe, jetzt die Schweinegrippe. Es gibt Experten, die in diesen Viren Vorboten eines neuen Killervirus sehen, das zwangsläufig kommen wird.Löwer: Nein. Man muss sich nur bewusst machen, dass Infektionskrankheiten nicht ausgerottet sind – und auf der Hut sein.
Stadler: Ich bin kein Wahrsager. Zu behaupten, dass nichts passieren könnte, ist genauso blöd wie zu behaupten, dass es ein Armageddon geben wird. Ich sehe aber, dass es in der Natur Zyklen gibt. Vielleicht haben wir jetzt wieder 30 bis 40 Jahre Ruhe.
Die Möglichkeit von Mutationen schreckt sie nicht? Stadler: Das ist Evolution, nicht Apokalypse. Und da hat sich gezeigt, dass wir auf Veränderungen gut vorbereitet sind. Wie bei Sars hatten wir auch bei der Schweinegrippe den Erreger schnell sequenziert und analysiert. Überlegen Sie mal, wie lange das bei Aids dauerte! Wenn wir noch zwei- bis dreimal so viel Glück wie bei der Schweinegrippe haben, könnten wir mit internationaler Anstrengung die Pandemiegefahr sogar komplett beseitigen.
Wer beherrscht die Erde – der Mensch oder die Viren?
Löwer: Wenn der Mensch die Welt beherrschen würde, gäbe es keine Erdbeben. Die Viren sind ein ernstzunehmender Einflussfaktor.
Stadler: Die Viren sind ein erfolgreiches Model der Evolution. Man schätzt, dass es pro Spezies zehn bedrohliche Virenarten gibt, aber viel mehr Viren, die auf den Organismus draufpassen und ihn nicht schädigen. Man könnte von einer Parallel-Evolution sprechen. Die Biodiversität der Viren ist also viel größer als die der selbstständigen Lebewesen.
Ist der Mensch ohne Viren überhaupt denkbar? Stadler: Wie würde der Mensch denn ohne Viren aussehen? In unserem Genom sind noch viele Relikte ehemaliger retroviraler Angriffe zu sehen. Da ist die Frage schon berechtigt, wie viele Viren zu unserer Evolution beigetragen haben.
Löwer: Grundsätzlich ist es denkbar, dass Viren zur Evolution beigetragen haben. Diese Viren können aber auch zur Entstehung von Tumoren oder zu genetischen Erkrankungen beitragen. Ich bezweifle auch, dass Viren, die von Mensch zu Mensch übertragen werden – zum Beispiel Masern oder Hepatitis B – notwendig sind für den Menschen. Ich halte das für eine Co-Evolution: Da haben die Viren eine Nische gefunden. Wobei ein Virus kein Interesse daran haben kann, die Spezies, von der es abhängig ist, auszulöschen.
Kann man also von der Klugheit der Viren sprechen?
Löwer: Nein. Diese Entwicklung richtet sich nach darwinistischen Prinzipien. DNA ist selbstsüchtig. Es geht nur um die Vermehrung der eigenen Erbsubstanz.
Stadler: Ihre Frage impliziert, dass Evolution einen Sinn hat, den gibt es aber nicht. Obwohl man einen gegenseitigen darwinistischen Druck zwischen Mensch und Viren nachweisen kann. Bei Aids zum Beispiel wissen wir, dass von 1000 Menschen einer einen Gendefekt auf einem Co-Rezeptor hat, der es dem Virus erschwert, in die Zelle einzudringen. Das ist ein Hinweis darauf, dass Viren auch einen Selektionsdruck auf den Menschen ausgeübt haben. Aber wie es die Dinosaurier gegeben hat, gab es in der Evolution sicher auch blöde Viren, die sich bereits selbst wieder vernichtet haben, weil sie die Spezies, auf die sie gepasst haben, ausgerottet haben.
Herr Löwer, Sie sagten, dass wir schon bald einen Impfstoff gegen das Schweinegrippe-Virus haben.Löwer: Ja, die Labors arbeiten an den Impfstämmen, und wir in Europa sind bei der Influenza besonders in Bezug auf die Produktionskapazität gut aufgestellt, weil die Impfstoffe ja jedes Jahr neu angepasst werden müssen.
Stadler: Da muss ich Ihnen widersprechen, Herr Löwer. Wir haben bei der Impfstoffproduktion ein akutes Problem. Die Herstellung ist kein großes Geschäft und befindet sich in den Händen weniger Firmen. Global müsste die Forschung verstärkt und dezentral produziert werden. Es ist ein Skandal, dass wir gezwungen sind, Impfstoffe immer noch in Hühnereiern heranzuzüchten. Das müsste längst mit gentechnischen Methoden erfolgen. Das beweist, dass viel zu wenig Geld in die Forschung investiert wird.
Löwer: Möglicherweise habe ich da einen etwas besseren Einblick als Sie, Herr Stadler. Es gibt große Anstrengungen, von den Hühnereiern wegzukommen. Es liegt nicht nur am Geld, sondern an der schwierigen Materie. Das Problem ist die Konzentration der Impfstoffhersteller. Möglicherweise müssen wir uns da etwas Neues überlegen.
Stadler: Als Beamter sehen Sie die Rolle des Staates zu bescheiden. Wer gibt denn viel Geld für schwierige Impfstoffe, etwa gegen Aids, Malaria oder Tuberkulose? Das sind Stiftungen. Und noch immer werden auch alte Impfstoffe verwendet, die überhaupt nicht den heutigen Möglichkeiten entsprechen, etwa bei Diphtherie. Der Staat investiert zu wenig in dieses Gebiet.
Löwer: Das ist korrekt. Allerdings arbeiten viele Forschergruppen an besseren Impfstoffen. Ich sehe aber große Lücken in der Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Impfstoffproduzenten.
Stadler: Es gibt noch ein anderes Problem. Fakt ist, dass eine Impfdosis in armen Ländern nicht mehr als 50 Cent kosten darf. Dafür aber bekommen sie keinen Produzenten, wenn der Staat nicht zuschießt.
Löwer: Aber auch dafür gibt es Programme etwa der Europäischen Union. Allerdings ist die Hoffnung, alle Probleme in armen Ländern mit Impfstoffen lösen zu können, auch nicht adäquat. Sie wissen, wie viel wissenschaftliche Mühe in die Entwicklung eines HIV-Impfstoffes gesteckt wird. Seit 25 Jahren ist das nicht gelungen.
Stadler: Es geht auch um die politische Unterstützung. Ich komme aus einem Land, in der die Haltung sehr impfkritisch ist. Diese Gegnerschaft hat dazu geführt, dass wir zum Exportland für Masern-Infektionen geworden sind. Andere Kinderkrankheiten werden folgen, wenn die Impfdisziplin weiter so sinkt.
Löwer: Das stimmt. Die Impfkritiker sind sehr lautstark und zweifellos ein Problem.
Ein Problem ist auch die Grundversorgung mit Tamiflu, jenem Medikament, das mit der Vogelgrippe bekannt geworden ist. Die meisten Bundesländer wie etwa Hessen haben nur für jeden fünften Bürger Tamiflu, manche noch weniger.
Stadler: Ja, und es müssen jetzt gewisse Märchen darüber, wie man Leute behandeln könnte, endlich mal auf den Tisch. Die Offiziellen lassen den Steuerzahler Medikamente wie Tamiflu bezahlen, bunkern das in irgendwelchen Fässern und sitzen dann darauf. In einem deutschen Bundesland ist sogar der Ort der Lagerung geheim – das zeigt doch das Verhältnis zum Bürger!
Was muss besser gemacht werden, Herr Stadler? Stadler: Das US-Gesundheitsministerium fordert, dass man diese Medikamente so früh wie möglich einsetzen sollte, am besten innerhalb der ersten 24 Stunden. Aber bei uns ist alles so organisiert, dass man zuerst schön brav zum Doktor gehen muss. Der weiß nicht, ob er einen Test machen soll oder nicht. Und so vergehen im Durchschnitt 24 Stunden. Das ist viel zu lange. Tamiflu sollte möglichst früh eingesetzt werden
Löwer: Ich bin da zurückhaltender. Tamiflu ist kein Wundermittel. Es schwächt die Krankheit ab, aber verhindert sie nicht. Ein Infizierter bleibt infektiös. Zudem sind 90 Prozent der H1N1-Stämme in Europa schon resistent gegen Tamiflu. Bei Aids nimmt man drei Substanzen, um die Resistenzbildung zu minimieren – die haben wir hier nicht. Ein großflächiger Einsatz von Tamiflu bei einer Pandemie würde daher nur dazu führen, dass es nicht mehr zur Verfügung steht, wenn wir es wirklich brauchen.
Hand aufs Herz, haben Sie Tamiflu zu Hause – für sich und Ihre Lieben? Löwer: Zu Hause nicht, aber durch das Institut habe ich Zugang.
Stadler: Ich habe zwei Packungen Tamiflu für sechs Familienmitglieder. Das ist aber für den allergrößten Notfall gedacht, falls bei einem von uns das Fieber sprunghaft auf über 38 Grad Celsius steigen würde. Ungemütlich stimmt mich, dass ein Infizierter erst zum Arzt müsste, um ein Rezept zu bekommen. Da steckt er dann im Wartezimmer andere an und steht später in der Apotheke wieder mit lauter Nichtinfizierten in der Schlange. Da sollten intelligentere Verteilungspläne aufgestellt werden.
Löwer: Dass die Länder ihre Vorräte zentral an einem Ort lagern ist logistisch vernünftig. Richtig ist aber auch, dass wir überlegen müssen, wie man Ansammlungen von infizierten Grippekranken während einer Pandemie vermeiden kann.
Apropos Verteilungspläne: Wenn es zu einer Pandemie käme, wer würde zuerst die lebensrettenden Medikamente erhalten?
Löwer: Für das Tamiflu kann ich das nicht genau sagen, aber bei den Impfstoffen ist es so: Die Menschen, die für die Aufrechterhaltung des "Betriebs Deutschland" notwendig sind, werden bevorzugt – also medizinisches Personal, Feuerwehr, Polizei und Energieversorger. Anschließend wird so versorgt, dass die Zahl der Todesfälle möglichst niedrig ausfällt. Wenn nicht für alle Impfstoff zur Verfügung steht, dann muss man eine gewisse Rangfolge aufstellen.
Stadler: Der Schweizer Pandemieplan ist öffentlich, der deutsche auch. Und so unpräzise die Verteilung da auch formuliert ist, wird mancher Chef trotzdem mit Entsetzen feststellen, dass er nicht mit als Erster drankommt. Wer ist in unserer Gesellschaft wirklich essentiell, und wer braucht die Impfung weniger? Ich nehme an, die Bundeskanzlerin stünde relativ am Schluss der Medikamentenabgabe.
Löwer: Nein, für die Aufrechterhaltung der "Firma Deutschland" ist die Kanzlerin sehr wichtig.
Stadler: Frau Merkel ist Ihre Chefin, Sie arbeiten für sie.
Löwer: In weiter Entfernung ist sie natürlich meine Chefin. Aber ein vernünftig denkender Mensch weiß, dass sie benötigt wird, um den Betrieb aufrechtzuerhalten."
Schönen Sonntag noch, und Hauptsache Gesundheit!
Thomas Beßen
Interview: Rudolf Novotny und Karl-Heinz Karisch in:
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/panorama/?em_cnt=1766773&em_cnt_page=3