Nach der Durchsicht der neuen Punkte im aktualisierten Pflegestandard ist mir besonders der Punkt 5 ins Auge gefallen.
"5. Die Wünsche der Bewohner respektieren
Besonders betont die Neufassung des Expertenstandard auch, dass Pflegekräfte die Wünsche und Bedarfe mit Bewohnern (oder Patienten) absprechen sollen. Die Pflegekraft macht Angebote, die Bewohnerin oder der Bewohner entscheidet, was er davon annehmen möchte und was nicht. Dabei sollten Pflegekräfte auch die Angehörigen einbeziehen."
Was wollen die Autoren uns hier mitteilen? Sind zu früherer Zeit die Wünsche nicht beachtet worden?
Ich stelle folgende Frage: Was soll eine Pflegefachkraft unternehmen, wenn der Patient/Bewohner/ältere Menschen/seine Angehörigen eine pflegerische Intervention bewusst ablehnt?
Sollte die Pflegefachkraft sie dann unterlassen, weil der klare Wille ausgesprochen wurde?
Juristisch mag das klar sein, oder gar zu einem Dilemma führen.
Unterlässt die Pflegefachkraft die notwendige pflegerische Intervention, kann sie belangt werden, wegen unterlassener Hilfeleistung, oder gar Verletzung der Garantenpflicht.
Originalton eines Vorgesetzten im Gleichklang mit den Angehörigen: "Sie sind Schuld, dass meine Mutter ins Krankenhaus muss, weil sie ihr nichts zum Trinken angereicht haben!" Die klar bei Verstand seiende ältere Dame hat mehrfach gesagt, dass sie nicht trinken will, weil sie keinen Durst habe.
Ähnlich könnte es sein, dass eine ältere Person bei klarem Verstand sagt: "ich will nicht aufstehen!"
Was soll die Pflegefachkraft hier tun??
Um das menschenwürdig auszudiskutieren können braucht es viel Zeit, die Praktiker am Bett nicht haben, weil die Personaldecke ausgedünnt wurde.
Von Angehörigen und Vorgesetzten wird dann vorgehalten: "Sie müssen ihre Prioritäten besser setzen, damit sie ihre Arbeit schaffen/meine Mutter richtig versorgen!"
Ich wünsche mir einen Expertenstandard, der sich an der aktuellen Wirklichkeit orientiert und Lösungsvorschläge anbietet.
Wie gehe ich mich den Wünschen von Patienten/Bewohnern/Angehörigen um, wenn sie der pflegerischen Expertise widersprechen.
So wie das bei Eltern ist, wenn die Kinder nicht wollen aber sollen, damit sie sich ins Leben entwickeln können.
Wann kann/darf/muss ich mich als Pflegefachkraft dem Wunsch oder Willen des Pflegeempfängers widersetzten, um Schaden von ihm abzuwenden, den er nicht kommen sieht?
Ein Bewohner will nicht das Bett verlassen. Lass ich ihn sitzen, weil es sein deutlich erklärter Wille war?
Als Pflegefachkraft weiß ich, dass in zügigem Tempo die Muskulatur abbauen wird und das Sturzrisiko sich schnell erhöhen wird.
Diese Einsicht hat kaum der Betroffenen und versteht die Notwendigkeit der pflegerischen Interventionen nicht, so wie Kinder/Novizen, die eine Anordnung eines Vorgesetzten/Mentors/Lehrer (noch)nicht nachvollziehen können.
Die Wünsche eine Menschen zu respektieren kostet Zeit!! Woher soll ich sie als Praktiker diese Zeit nehmen?
Nachdenkliche Grüße, Michael Günnewig