Autor Thema: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis  (Gelesen 5002 mal)

Offline IKARUS

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Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« am: 08. Juli 2021, 16:34:31 »
„Gute Arbeitsbedingungen sind kein Hexenwerk“, sagte Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, angesichts der Personalsituation in der Altenpflege am Mittwoch auf der virtuellen Altenpflege-Messe 2021. Sie seien der entscheidende Knackpunkt, um Fachkräfte zu gewinnen. "
https://www.altenpflege-online.net/artikel/2021_07/2021_07_07_westerfellhaus_ein_echter_teufelskreis?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=AHI_AP_NL_20210708_1

Immer wieder wird beklagt, dass die Arbeitsbedingungen in der PFLEGE schlechter werden. Es sind doch immer wieder betriebswirtschaftliche Argumente die herangeführt werden. Immer wieder hört man landauf landab: "DIE ZAHLEN MÜSSEN STIMMEN!"

Ist es eigentlich unethisch, wenn auch die Pflege beginnt wirtschaftlich zu denken?
Ist es nicht möglich (von Pflegewissenschaftlern!) nachzuweisen, dass PFLEGE über die Maßen hinaus Leistung erbringt?
Ist es nicht möglich, so viel zu leisten wie es der Rahmen es hergibt?
Ist es unethisch auch mal NEIN zu sagen, wenn Angehörige auch ihre dritte (wiederholte) Frage stellen?


Wann denkt die PFLEGE mal betriebswirtschaftlich??

In der Somatik ist es nicht üblich, dass es einen Zeitkorridor gibt für das Führen von Gesprächen mit Angehörigen oder sonst wem!!

Nachdenkliche Grüße, Michael Günnewig

Offline dino

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #1 am: 08. Juli 2021, 23:09:37 »
Mathematik beginnt immer mit dem kleinen Einmaleins. Also fangen wir in den Teams an. Stell mal in einer Einrichtung/Allgemeinhaus jemanden aus der Pflege eine Frage, und er wird sie beantworten. Oder frage ihn, während er Pause hat, nach einer Blumenvase, er/sie wird springen. Hier fängt es aber an. Wenn ich Pause habe bleibe ich sitzen, ich beantworte auch keine Fragen. Außernatürlich ein Notfall tritt ein. Ansonsten - niente. Selbstbewußtes Auftreten muss von der Basis wachsen.

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dino

Offline IKARUS

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #2 am: 09. Juli 2021, 09:47:23 »
Dino - auch hier haben wir es wieder, dass wir den gleichen Punkt ansehen, aber aus unterschiedlichen Blickrichtungen.
Wenn Du das für dich so tun kannst. PRIMA!!!
Aber es wird nach meiner Erfahrung, wenn sich das mal jemand herausnehmen würde, einen erheblichen Druck von Vorgesetzten bekommen.
Und hier unterschieden wir uns in den gesammelten Erfahrungen gravierend!
Die Vorgesetzten - auch die aus der Pflege - lassen ein selbstbewusstes Pflegepersonal nicht wachsen. Es sein denn sie (die PDLs) sind exzellent.
Und hier haben wir auch den üblichen gesellschaftlichen Querschnitt.
Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn nur 3 Vorgesetzte gehabt, die Kritik von Mitarbeitern zugelassen und gewollt haben.
Die meisten duldeten keine Widerworte !! 
Hier haben wir unterschiedliche Erfahrungen. Ich deine nicht negieren!

Sonnige Grüße aus Essen, Michael

Offline dino

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #3 am: 10. Juli 2021, 14:12:46 »
Kritik ist ein kostenloser Tipp etwas anders zu machen. Natürlich ist nicht jede Kritik sinnvoll. Auch nicht jede Idee ist sinnvoll. Aber: Hätte nur einer alleine in die Pfütze gepinkelt   wäre es auch heute noch eine Pfütze. Es haben aber viele reingepinkelt, und die Ostsee ist ein Binnenmeer geworden :-D :-D :-D

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Offline ChrisWeb

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #4 am: 10. Juli 2021, 15:40:07 »
Also ich kann aus meiner beruflichen Praxis auch nur sagen:  Vollständig Pause machen und sitzen bleiben ist im Prinzip nicht möglich. Mal kommt ein Arzt rein und stellt eine Frage (odet ruft an) oder ich werde aus dem Röntgen oder OP angerufen, dass ein Patient geschickt/ abgeholt werden kann. Auch die Kollegen könnten i.d.R. keine 30 Minuten   Pause machen. Der Druck steigt, wenn du selber sitzen bleibst und die Kollegen früher aufstehen (müssen).

Ich muss mich also eher Ikarus anschließen. Manche Raucher verlassen auch die Station (, wenn sie wissen, dass es noch einen Kollegen/ eine Kollegin gibt).

Anders wäre es schön, ist allerdings aktuell eher realitätsfremd.
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Offline dino

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #5 am: 10. Juli 2021, 17:44:35 »
Nun, dann sag dem Doc: jetzt nicht. Ihr stört ihn ja auch nicht im Kasino, oder? Wer immer versucht es Allen Recht zu machen macht es eigentlich keinen Recht. Man ist ständig unzufrieden. Prioritäten setzen und machen was möglich ist.ich bin weder ein Altruist noch ein Gutmensch. Ich bin ein Profi, was ich nicht schaffe, schaffe ich nicht. Man muss eben Prioritäten setzen. Und mit den richtigen Prioritäten packt man schon sehr viel.

VG
dino

Offline IKARUS

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #6 am: 11. Juli 2021, 07:38:09 »
Nun weiß ich nicht, wo Chris arbeitet. Es könnte ja sein, dass es zwischen der Psychiatrie und der Somatik so manche Unterschiede gibt Dino.
Dann kommt mir noch die Idee: "Was hast/hättest du vor 20/25 Jahren gemacht, von dem was du heute vermittelst? 
Ich erinnere, dass mein Kollege, der auch die Klinik nie gewechselt hat, sich mehr herausnehmen konnte, als so manch anderer Zeitgenosse in der Klinik.

Wenn ein Schüler sitzen bliebe oder ein Jungexaminierter, dann hagelt es die Kritik/Reaktionen von Seiten der Vorgesetzten (fachlich der Arzt und organisatorisch die PDL). 
Ich freue mich mit DIR DINO, wenn ihr in eurer Klinik eine PDL und ärztliche Leitung habt, die dem Pflegepersonal das durchgehen lassen würde. Schön, wenn es bei euch partnerschaftlicher zugeht! Das habe ich in meiner Klinikzeit nicht erlebt. Da könnte mir deine Geschichte mit dem Pinkeln einfallen.
Es ist meine Erfahrung, dass selbst, wenn ein Arzt sitzen bliebe, er mit Konsequenzen zu rechnen hätte. Auch hier habe ich eindrucksvolle Erlebnisse sammeln dürfen.
Um an meiner ersten Frage anzuknüpfen: Wenn die Kollegen auf den Stationen betriebswirschaftlich Denken würden, gäbe es Reaktionen von "oben".
Konkret erinnere ich eine Begebenheit aus meiner Erfahrung. Ich hatte eine Anmerkung gemacht gegenüber Vorgesetzten, die ich mir hätte sparen sollen. Es ging ums Sparen! "Wer wieviel Geld ausgibt und wofür entscheiden nicht sie!" war die Antwort und nur der Beginn zu meiner Widerrede.

Dino, was sind richtige Prioritäten? Ich möchte deine fachliche Kompetenz nicht anzweifeln, aber auch hier ist es meine Erfahrung, dass der Vorgesetzt (ÄL, VL und PDL) Prioritäten setzt.
Grüße aus Essen, Michale
der jetzt Parkettpflege betreibt und tanzen geht

Offline ChrisWeb

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #7 am: 11. Juli 2021, 09:26:53 »
Ich arbeite auf einer Kardiologie eines Akutkrankenhaus.
Es kommt auch häufiger vor, dass Patienten (in der Pausenzeit) klingeln, weil es ihnen nicht gut geht.
Bei manchen ist es (auch) psychischer Natur. Trotzdem muss erst mal von einer somatischen Problematik ausgegangen werden, sprich: volles Programm von VZ über EKG, Doc, Evtl. (Notfall-) Medikamente, Labor und.s.w.
Stichwort Priorität: Da muss man dann reagieren und kann nicht sagen: Ihr MI kann noch warten.
Personell sind wir an der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestpersonalbesetzung (viele Kollegen gibt es also auch nicht). Oder anders ausgedruckt: Man hat in seiner Gruppe so viele (kritische) Patienten (häufig auch ältere, die auch schon generell auf Pflege angewiesen sind), dass man immer Pat. hat, die Klingeln.

Edit: Getaktet ist der Ablauf auch so, dass nicht immer eine Fachkraft "draußen" bleiben kann. Man ist ja z.T. froh, wenn es einen Schüler/ eine Schülerin gibt, die dann später Pause machen kann.

Der gesetzliche Mindeststand ist übrigens
Tagschicht 10 Patienten pro Pflegekraft; Nachtschicht 22 Patienten pro Pflegekraft
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/personaluntergrenzen.html
Wenn kurzfristig einer Krank wird ist das Problem groß und die Mindestbesetzung gefährdet.
« Letzte Änderung: 11. Juli 2021, 12:03:16 von ChrisWeb »
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Offline dino

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Re: Westerfellhaus - ein echter Teufelskreis
« Antwort #8 am: 11. Juli 2021, 13:17:44 »
Also, vor 25 Jahre saß ich da, wo ich heute noch sitze. Wir sind ein gewachsenes Team und jeder hat seinen Platz. Aber, ich habe eine andere Vorgehensweise als Ihr, und ein anderes Umfeld. Wenn ich mir eine Sache betrachte, dann unter der Prämisse: Wie klappt es. Bei Euch habe ich die Vorstelling: Das klappt nicht. Natürlich klappt auch mit dieser Prämisse nicht Alles, aber man hat es zumindest versucht. Aber manchmal muss man eben probieren, rantasten, es sein lassen oder ein neues Konzept erarbeiten. Erstmal, unser Vorgesetzter weiß, was wir leisten. Auch, das wir ungefragt einspringen, länger bleiben, etc. Aber, in Maßen und letztendlich nach dem Prinzip: Geben und nehmen. Dann, ein Arzt kann mir sagen, welche Med. ein Pat. bekommt, aber nicht, wann oder wo ich sitze. Er ist nicht mein Disziplinarvorgesetzter. Ich würde sofort jeden Arzt zurechtweisen, der ein Teammitglied deshalb anmeckert. Weiter, man kann sich zum Essen aufteilen. Erst der Eine, dann der Andere. Ein Kollege ging früher täglich ins Kasino essen, das war genauso ok. Und bei einem schweren Ereignis gehts auch raus. Keine Frage, keine Diskussion. Nur ist sowas eher selten. Viele Arbeitabläufe sind eben sehr wohl gut planbar. Die Arbeitsverdichtung gibt es nicht nur in der Somatik. Man muss hier Schritt halten, die eigenen Abläufe prüfen und ggf modifizieren. Aber, nicht zu Lasten des PP. Hier bewährt sich immer wieder die PDL ins Boot zu holen, abzustimmen/informieren. Man muss versuchen, den zur Verfügung gestellten Rahmen mit dem Team zusammen bestmöglich auszugestalten. Die Fluktuation im Team ist minimal zu nennen. Unser Team absolvierte seine Ausbildung >90% in unserer Schule. Und schon so mancher OA bekam von Teammitgiedern die eigene Einstellung gesagt, natürlich ohne negative Kosequenzen.

VG
dino