Autor Thema: Atemgifte  (Gelesen 5407 mal)

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.055
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Atemgifte
« am: 07. Januar 2009, 19:00:40 »
Bei jedem Brand entstehen Brand- und Zersetzungsgase. Diese pathogenen Gase entstehen bei der Pyrolyse, der thermischen Zersetzung des Brandgutes; die Zusammensetzung des Brandrauches ist abhängig vom Ausgangsstoff, der Sauerstoffzufuhr und der sich entwickelnden Temperatur. Die Gefah, dass sie in höheren Konzentrationen entstehen, ist während und nach dem Brand gegeben. Die Folge ist eine erhebliche Vergiftungsgefahr für alle Personen, die sich in der Umgebung der Brandstelle aufhalten. Die örtliche Belastung im Bereich des Brandherdes kann sich z. B. ausdehnen auf:

- benachbarte Räume
- angrenzende Etagen
- Treppenhäuser
- benachbarte Gebäude
- benachbarte Wege und Plätze


Atemgifte werden nach ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften oder nach ihrer Wirkung auf den menschlichen Körper klassifiziert. Atemgifte sind Fremdstoffe, die in Gas-, Dampf-,Aerosolform oder in festen Teilchen ( Ruß ) in der Einatemluft vorhanden sind. Diese Stoffe können aber auch durch orale, parenterale oder perkutane Aufnahme in den menschlichen Körper gelangen und diesen schädigen. Diese Substanzen mit schädigender Wirkung können sein:

1. Reizgase mit lokaler schädigender Wirkung auf Atemwege und Lungenparenchym wie Schwefeldioxid, Nitrose-Gase, Stickoxide, Chlor.
2. Gifte mit Wirkung auf Blut, Nerven oder Zellen, die den Sauerstofftransport beeinträchtigen oder auf das Atemzentrum hemmend wirken, wie Kohlenmonxid, Blausäure oder Cyanid.
3. Atemgifte mit erstickender Wirkung, das sind jene Substanzen, die den in der Atemluft vorhandenen Sauerstoff verdrängen, wie Stickstoff,Propa, Methan.
4. Neben diesen akut toxischen Substanzen gibt es eine ganze Reihe von Brandrauchbestandteilen, die unter Umständen chronische oder Langzeitschäden auslösen können, wie z. B. Krebs erregende Substanzen wie Ruß oder Asbeststaub.

Atemgifte mit Reiz- und Ätzwirkung

Diese Atemgifte reizen oder verätzen die Schleimhäute der Atemwege/Augen. Je nach ihrer Wasserlöslichkeit ist das klinische Bild der Vergiftung sehr unterschiedlich. Die Art sowie das Ausmaß der Vergiftung nehmen mit abnehmender Wasserlöslichkeit zu. Atemgifte mit hoher Wasserlöslichkeit haften schnell auf den feuchten Schleimhäuten der Augen und des oberen Atemtraktes. Bei geringer Wasserlöslichkeit und hoher Lipidlöslichkeit gelangen diese Stoffe bis in die Alveolen. Nach einer Latenszeit von 24 48 Stunden nach ihrer Aufnahme lösen sie die ersten Symptome aus.

Wasserlösliche Gase

Hierzu zählen die meisten Noxen. Sie schlagen sich in der Tränenflüssigkeit oder in der Schleimhaut der oberen Atemwege nieder. In der Folge kommt es zu sofortiger Reizung der Augen und der oberen Atemwege mit folgender Symptomatik:

- Augentränen und -brennen
- Hustereiz
- Niesen und Sekretion
- Rachenreiz, evtl. Stimmlosigkeit
- Stimmritzenkrampf mit Atemstillstand


Zu diesen Stoffen zählen Ammoniak, Formaldehyd und Fluor.

Stoffe mit mittlerer Wasserlöslichkeit

Sie gelangen in die Bronchien und Bronchiolen, bis sie sich auflösen und mit folgenden Symptomen bemerkbar machen:

- Hustenreiz
- Schleimabsonderung
- Bronchokonstriktion
- Bronchitis und Bronchopneumonie als Sekundärfolge
Vertreter dieser Stoffe sind Chlor, Brom und Schwefeldioxid.

Wasserunlösliche Stoffe

Sie haben eine hohe Lipidlöslichkeit und eine geringe Partikelgröße. Diese Stoffe verursachen kaum Reizerscheinungen in den oberen Atemwegen, sie werden tief inhaliert und schädigen dort nicht nur die Bronchiolen und Alveolen sondern auch die Kapillaren. Die Kapillaren reagieren mit einer Entzündung, Wodurch die Durchlässigkeit der Kapillarwände erhöht wird. Dieses hat einen Plasmaaustritt zur Folge, es entsteht ein toxisches Lungenödem mit folgenden Symptomen:

- Atemnot
- feuchte Rasselgeräusche, Distanzrasseln
- Zyanose
- Einsatz der Atemhilfsmuskulatur
- Tod durch Ersticken
Zur Ausbildung dieser Symptome kann es je nach aufgenommenem Atemgift erst nach einer Latenzzeit von 24- 48 Stunden nach Einatmen kommen. Zur Gruppe der wasserunlöslichen Stoffe gehören z. B. Phosgen, Stickstoff oder Cadmiumoxid.

Atemgifte mit Wirkung auf Blut, Nerven und Zellen

Diese Atemgifte werden als BNZ-Atemgifte bezeichnet. Hier findet man giftige Gase, die in unterschiedliche Art auf die menschlichen Organe oder Stoffwechselvorgänge wirken. Regelmechanismen werden außer Kraft gesetzt, lebensnotwendige Vorgänge werden gehemmt, oder die Fortleitung von Nervenimpulsen wird manipuliert. Sie können farb-, geruch-, und geschmacklos sein, sie können aber auch angenehm oder unangenehm riechen. Bei diesen Atemgiften muss der menschliche Körper eine gewisse Dosis aufnehmen, bis es zu Symptomen kommt. Bei Einatmung großer Mengen kommt es zu Vergiftungserscheinungen, die bis zum Tode führen können. Folgende Symptome sind festzustellen:

- leichte bis heftige Kopfschmerzen
- Schwindel, Synkope
- Bewusstlosigkeit
- Übelkeit, Erbrechen
- Pyramidenbahnzeichen
- Krämpfe
- Tod durch Atemlähmung und Herzversagen


Die gefährlichsten Vertreter dieser Gifte sind Dioxine ( Sevso-Gift ), sie werden auch als Ultragifte bezeichnet. Dioxine entstehen bei Bränden in elektrischen Anlagen, die mit dem so genannten PCB ( polychlorierte Biphenyle ) gefüllt sind. Sie verursachen Leber- und schwere Hautschäden. Aber auch Benzindämpfe wirken auf das Zentralnervensystem.

Atemgifte mit erstickender Wirkung

Stoffe, die hierzu zählen, haben keine giftigen Eigenschaften. Sie sind meist schwerer als Luft und sammeln sich somit in tieferen Gegenden wie z. B. in Kanal- und Schachtanlagen, in Siloanlagen oder bei Verschüttungen. Sie verdrängen den in der Umgebungsluft enthaltenen Sauerstoff bis zu einem Sauerstoffanteil in der Einatemluft von unter 15 Vol.-%. Es kommt zu einem Sauerstoffmangel im menschlichem Organismus, der nach drei Minuten bereits zu bleibenden Schäden führen kann. Besonders betroffen sind die Nervenzellen. Es kommt schnell zur Bewußtlosigkeit, da der Sauerstoffmangel nicht von den menschlichen Sinnen wahrgenommen werden kann. Vertreter derartiger Stoffe sind Stickstoff, Wasserstoff und alle Edelgase.

Atemgifte mit Spätfolgen

Ruß ist ein braun-schwarzer, pulverförmiger Rückstand aus der unvollständigen Verbrennung von organischen Stoffen. Die Rußpartikel haften in den Schleimhäuten der oberen und mittleren Atemwege, sie sind dazu in der Lage, kleinste Bronchiolen zu verlegen. Ruß schädigt die Schleimhäute und kann einen Bronchospasmus verursachen. Es kann zu einer Bronchitis und einer Pneumonie kommen. Als Spätfolge einer chronischen Rußexposition werden die Lungenfibrose und Lungentumore in der Literatur beschrieben. Manche Stoffe ( Mutagene ) haben die Eigenschaft, eine Veränderung am Erbgut hervorzurufen. Man unterscheidet Mutationen an Körperzellen, die Ursache von Krebs sein können, und Mutationen an Keimzellen, die sich auf die Nachkommen vererben. Zwischen mutagener und Krebs erregenhder Wirkung wird ein Zusammenhang vermutet. Vom Beginn der Einwirkung bis zum Auftreten können längere Zeiträume ( Jahre oder Jahrzehnte ) vergehen. Im ungünstigsten Fall genügt die einmalige Einwirkung eines Schadstoffes, um einen Tumor zu erzeugen. Häufig ist für die Tumorwirkung die additive Wirkung mehrerer Schadstoffe notwendig. Gerade dieser Umstand ist bei einem komplexen Brandrauchgemisch gegeben.

Die meisten Brände entstehen im privaten Bereich. Verletzungen oder Tod könnten durch die konsequente Nutzung von Rauchmeldern vermieden werden.
« Letzte Änderung: 07. Januar 2009, 22:05:34 von dino »