Autor Thema: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime  (Gelesen 8509 mal)

Online Thomas Beßen

  • Administrator
  • *
  • Beiträge: 11.189
  • - die Menschen stärken, die Sachen klären -
    • http://www.pflegesoft.de
Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« am: 18. August 2008, 06:22:32 »
"Die Bundesagentur für Arbeit will "schwer Vermittelbare" bei der Pflege von Demenzkranken in Heimen einsetzen. Pflegeexperten sind entsetzt."
Von N. von Hardenberg und J. Nitschmann
Mehr hier in der Süddeutschen Zeitung: http://www.sueddeutsche.de/,tt6m1/politik/505/306466/text/
Guten Morgen!
Thomas Beßen
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.055
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #1 am: 18. August 2008, 16:48:19 »
Vorweg, ich möchte niemanden mit meinen Äußerungen diskriminiren, aber ich schließe mich der Meinung der Pflegeexperten an. Es ist für mich der untaugliche Versuch, die Arbeitslosenstatistik etwas zu  schönen und nachzuweisen, dass die Arbeitsagentur etwas zu Wege bringt. Ich halte die Arbeit mit an Demenz erkrankten Menschen für sehr anspruchsvoll. Soll jetzt, etwas überspitzt ausgedrückt, der ehemalige Baufacharbeiter, der vielleicht ein sehr qualifizierter Maurer war und die Sensibilität eines Preßlufthammers hat, schwerkranke Menschen pflegen. Oder ist das Ganze nur der untaugliche Versuch, Heime für den weitgehenden Verlust von Zivis zu entschädigen? Auf der einen Seite sehen viele das PN-System als non plus ultra, auf der anderen Seite der Einstieg von unqualifizierten Langzeitarbeitslosen. Wenn ich Hellseher wäre, würde ich dies als noch größeres Windei bezeichnen als den Einsatz von 1 Euro Jobbern. Es wäre hilfreich, wenn einmal Mitarbeiter der Arbeitsagentur sich von ihrem Schreibtisch losreißen würden um ein paar Tage auf einer Demenzstation zu hospitieren, damit sie überhaupt wissen, worüber sie reden.
Dino

Offline Matti

  • Member
  • *
  • Beiträge: 37
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #2 am: 18. August 2008, 17:44:42 »
Ich möchte mich der Meinung von den Pflegeexperten (und Dino)anschließen. Ich bin zwar durchaus dafür, dass man Arbeitslosen helfen sollte für sie angepasste Arbeit zu finden, aber nicht auf Kosten der Gesundheit Demenzkranker. Die Pflege Demenzkranker ist eine Aufgabe, die ich selbst für das Pflegepersonal als nicht immer einfach einstufen würde. Dabei sehe ich noch nicht mal die pflegerischen Tätigkeiten als Problem, sondern eher wie man als nicht qualifizierte Fachkraft mit diesen Menschen umgehen muss.
Allerdings habe ich mich mal umgehört (in meiner Umgebung) und mitbekommen, dass ein Großteil der Menschen, die nicht in diesem Metier arbeiten von der Möglichkeit Arbeitsloser in diesem Sektor einzusetzen positiv gegenübersteht. Ich denke jedoch, dass Einrichtungen wie die Agentur für Arbeit sich nicht überlegt hat, ob man pflegebedürftigen Menschen so etwas antun darf. Einerseits wird immer davon geredet, dass der Pflegeberuf aufgewertet wird und dann wird über so etwas ernsthaft diskutiert. Finde ich schon sehr grotesk!

Offline Pamela K07

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 221
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #3 am: 18. August 2008, 18:55:27 »
Tja, man wird es kaum glauben, aber ich kann mich ausnahmsweise mal voll und ganz Dinos Meinung anschließen und hab auch nichts hinzuzufügen.

Gruß, Pamela
Arzt zum Patient: "Was macht eigentlich Ihr altes Leiden?" - "Keine Ahnung, Herr Doktor, wir sind seit einem halben Jahr geschieden."

Online Thomas Beßen

  • Administrator
  • *
  • Beiträge: 11.189
  • - die Menschen stärken, die Sachen klären -
    • http://www.pflegesoft.de
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #4 am: 24. August 2008, 12:46:54 »
hier zum Thema ein zdf.Mail aus der zdf.de-Redaktion
Samstag 23.08.2008 [20.14 Uhr]MEZ

Arbeitsmarkt
Arbeitslose als Altenpfleger? Kritik von Wohlfahrtsverbänden

http://laenderspiegel.zdf.de/ZDFde/inhalt/23/0,1872,7296439,00.html

"Arbeitslose, die in Heimen Demenzkranke, geistig Behinderte und psychisch Kranke pflegen: innovatives Projekt oder unseriöser Aktionismus? Darüber streiten sich seit Tagen heftig Politiker, Experten und Wohlfahrtsverbände.

Rund 1,1 Millionen altersverwirrte Menschen leben zurzeit in Deutschland, etwa die Hälfte in Heimen. Dort ist das Personal knapp, stöhnt über steigende Arbeitsbelastung, ist vollauf damit beschäftigt, die Bewohner "satt und sauber" zu halten. Zeit für die Wünsche und Bedürfnisse der Alten und Kranken bleibt kaum.

Neue Pflegeassistenten
Hier setzt die jüngste Pflegereform an: Die Beitragserhöhung um einen viertel Prozentpunkt ermöglicht den Heimen, 10.000 zusätzliche Pflegehelfer einzustellen. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen auch geeignete Langzeitarbeitslose darunter sein. Vorgesehen ist, dass sich diese neuen "Pflegeassistenten" über Theoriekurse und ein zweiwöchiges Betreuungspraktikum qualifizieren - ihre Eignung soll zuvor bei einem Orientierungspraktikum in einem Heim geprüft werden. Scharfe Kritik am geplanten Einsatz von Arbeitslosen äußern Arbeiter-Samariterbund (ASB) und Paritätischer Wohlfahrtsverband. Die Pläne zur Schulung der Helfer seien "völlig unzureichend".

Der ASB hält die Pläne für "fahrlässig", sie wirkten sich negativ auf die von der Politik geforderte Pflegequalität aus. Dagegen warnt das Kuratorium Deutsche Altershilfe davor, die Pläne der Bundesregierung zu verdammen, die Richtlinien gingen "in die richtige Richtung". Das Bundesgesundheitsministerium widerspricht der Kritik. Das Programm für mehr Pflegehelfer stehe "allen offen, nicht nur Arbeitslosen". Niemand würde zur Arbeit gezwungen. Auch Bundeskanzlerin Merkel stellt sich hinter den Einsatz von Arbeitslosen als Pflegekräfte. Dies sei ein "innovativer Ansatz" und ein "großartiges Projekt".

"Positive Haltung" erforderlich
Das Bundesgesundheitsministerium will die Details zum Einsatz der neuen Pflegeassistenten rasch prüfen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen hat eine entsprechende Richtlinie verabschiedet. Darin ist ein Anforderungskatalog an die neuen Betreuungskräfte aufgestellt.

Sie sollen soziale Kompetenz, Kreativität, Teamfähigkeit sowie eine positive Haltung gegenüber alten, kranken und behinderten Menschen mitbringen. Noch nicht geklärt ist, wie die neuen Assistenten bezahlt werden. Voraussichtlich werden die Heime dafür ein zusätzliches Budget erhalten."

Schönen Sonntag noch und
viele Grüße vom Sommerfest des Waldkrankenhauses Köppern!
Thomas Beßen
« Letzte Änderung: 24. August 2008, 17:57:02 von Thomas Beßen »
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.

Offline hexchen101

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 41
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #5 am: 24. August 2008, 19:49:53 »
ich denke nicht, dass man allen Langzeitarbeitslosen unterstellen sollte, dass sie für so eine anspruchsvolle arbeit nicht geeignet wären. es sind doch unter dem vorhandenen professionellen pflegepersonal auch genug menschen, die anscheinend nicht genügend empathie, kongruenz u wertschätzung dem pflegenden gegenüber mitbringen oder wie sind sonst die jetzigen zustände in altenheimen zu erklären? ich glaube auch ein bauarbeiter etc. kann für so eine arbeit geeignet sein, wenn er sensibel ist und sich auf die zu pflegenden menschen u ihre bedürfnisse einstellen kann; man sollte halt wirklich strenge kriterien ansetzen bei der auswahl der bewerber.. ich denke das es tatsächlich eine chance sein kann..für beiden seiten..

Offline dino

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 5.055
  • In der Ruhe liegt die Kraft
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #6 am: 25. August 2008, 06:37:02 »
Ich denke nicht, dass wir etwas böswilliges unterstellen. Ich war/bin aber doch verärgert. Pflege ist ein sehr anspruchsvoller Beruf. Eine low dose Pseudo-Ausbildung halte ich für verfehlt. Letzten Endes sehe ich hier eher eine Geringschätzung unseres Berufes, denn bei Mercedes wird auch kein Ungelernter, auch wenn er irgend eine Fachpflege hätte, auf die S-Klasse losgelassen. Ich kritisiere nicht den Langzeitarbeitslosen, der auch noch oftmals nichts für sein Schicksal kann, aber ich verurteile die Politik, die hier Schau fürs Volk betreiben nach dem Motto, Masse statt Klasse.
Eine ruhige Woche
Dino

Online Thomas Beßen

  • Administrator
  • *
  • Beiträge: 11.189
  • - die Menschen stärken, die Sachen klären -
    • http://www.pflegesoft.de
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #7 am: 25. August 2008, 06:44:29 »
Das steht heute in der Frankfurter Rundschau dazu:

Arbeitslose unerfahren
Pflege-Pläne in Kritik

"Der geplante Einsatz von Langzeitarbeitslosen für einfache Tätigkeiten in Pflegeheimen geht nach Ansicht der Wittener Pflege-Wissenschaftlerin Angelika Zegelin am Bedarf vorbei. Die eigentlich vorgesehenen Pflege-Tätigkeiten wie Unterstützung beim Spazierengehen, Basteln oder Gesellschaftsspiele seien kaum gefragt, weil die Heimbewohner meist zu krank und zu schwach seien. "Alle, die noch Bast-Untersetzer machen können, sind noch zu Hause", sagte die Expertin von der Universität Witten-Herdecke.

Wissenschaftler gingen davon aus, dass zwischen 38 und 76 Prozent der Erkrankten sogenannte "herausfordernde Verhaltensweisen" zeigten, die das Pflegepersonal vor besondere Anforderungen stellten, erklärte die Expertin. Erfahrungen in der Vergangenheit hätten aber gezeigt, dass viele der aus Büroberufen oder auch aus der Industrie stammenden Arbeitslosen nicht ausreichend sozial engagiert seien. "Von 30 Umschülern war nach zwei Jahren keiner mehr da", so Zegelin." dpa

Frühe Grüße!
Thomas Beßen
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.

kuschel

  • Gast
Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #8 am: 25. August 2008, 08:26:45 »
Leider hat die Politik mal wieder den zweiten Schritt vor dem ersten getan. Ich werte den Vorschlag der Politik Arbeitslose in der Betreuung Demenzkranker einzusetzen, als " Augenwischerei " für die meist wenig informierte Bevölkerung. Aufgeschreckt durch die in der jüngsten Vergangenheit vermehrte kritische Berichterstattung in den Medien über Zustände in den Pflegeheimen und Arbeitsbedingungen für die Berufsgruppe Pflege, haben sich die sogenannten SozialpolitikerInnen zu einem Schnellschuß hinreißen lassen.(Frei nach dem Motto wir tun etwas) Der Vorschlag an sich, dass zeigt leider die Vergangenheit ist vollkommen ungeeignet. Es hat immer wieder Versuche gegeben Menschen, die für sich eine andere Lebensplanung festgelegt hatten mit Hilfe von groß angelegten Umschlungsmaßnahmen in die Pflege zu bekommen. Das geht im Einzelfall bei Menschen die sich bewußt für den Weg entscheiden sicher gut. Rasenmäherprogramme, da kann ich die Beobachtung von Frau Zegelin nur bestätigen führen leider nicht zum Erfolg. Ich halte es duchaus für notwendig, dass sich grundsätzlich Gedanken darüber gemacht wird, wie die Situation in den Pflegeheimen und vor allen Dingen auch in den Krankenhäuserern verbessert werden können. Unter Umständen ist, neben der Verbesserung der Budgetsituationen dafür auch notwendig, dass Strukturen und Organisationen verändert werde. Ich halte es für einen durchaus sinnvollen Weg, wenn man sich Gedanken darüber machen würde, welche Tätigkeiten die momentan von hochqualifizierten Gesundheits- und Krankenpfleger/innen, teilweise sogar mit zusätzlicher zweijähriger Weiterbildung übernommen werden, die viel besser von in diesen Bereichen qualifizierten Mensch ausgeführt werden könnten. Ein durchaus guter Weg ist es aus meiner Sicht in den sogenannten Hotelleistungen eines Krankenhauses/Pflegeheimes Servicekräfte einzusetzen. Die qualifizierten Gesundheits - und Krankenpflegerinnen hätten somit den Rücken frei für ihre originäre Tätigkeit. Aber auch hier gilt: Zunächst in Ruhe planen und erst dann mit der nötigen Sorgfalt an die Umsetzung gehen!

Grüße

Bernd Kuschel

Offline Britta07

  • SchülerInnen & DozentInnen Vitos Hochtaunus u. Rheingau
  • *
  • Beiträge: 167
Re: Vorschlag der Arbeitsagentur: Arbeitslose in Pflegeheime
« Antwort #9 am: 25. August 2008, 10:02:30 »
Ich habe, bevor ich hier in Köppern angefangen habe, ein halbes Jahr in einem Altenheim gearbeitet. Und ich muss ehrlich sagen, die Zustände dort fand ich damals schon teilweise nicht so gut. Aber mit dem Wissen, dass ich hier bis jetzt angesammelt habe, sehe ich umso mehr die Missstände. In Altenheimen ist es wohl grundsätzlich so (hat man mir damals gesagt), dass das Heim 50% examinierte und 50% angelernte Kräfte zur Pflege einstellen darf. Also kommen 50% der Pflegenden aus anderen Bereichen oder haben gar keine Berufsausbildung und wurden einfach praktisch angelernt, wie man die Grundpflege durchführt. Ich will nicht sagen, dass die dann keine gute Arbeit verrichten können, aber ohne bestimmtes Hintergrundwissen kann man die Qualität der Pflege von alten und kranken Menschen nicht gewährleisten. Ich habe das ja selbst auch gemacht. Ich war damals auch nur angelernt. OK, ich hatte so einen kleinen Pflegeassistenskurs bei FAB gemacht, aber da wurde nur sehr grobes Wissen bezüglich Hygiene, Körperpflege und ähnliches vermittelt. Nicht zu vergleichen mit einer Ausbildung. Da sind Dinge vorgefallen, die kann man eigentlich gar nicht erzählen. Aber es gab natürlich auch viel Gutes dort. Klar gibt es auch angelernte Pflegekräfte, die teilweise bessere Arbeit verrichten als einige Examinierte.
Das Vorhaben, Arbeitslose in Altenheimen zu beschäftigen, kommt aber auch den Heimen an sich sehr gelegen. Die monatlichen Beiträge, die die Heime teilweise verlangen deckt sich teilweise ganz und gar nicht mit den Leistungen, die erbracht werden. Ich habe da meine Ome als bestes Beispiel. Wenn ich sehe, was die monatlich an das Heim bezahlt und was sie dafür bekommt, dann stellen sich mir die Haare zu berge. Und ich glaube kaum, dass die Arbeitslosen dann alle zusätzlich zu den Examinierten kommen. Da wird dann eher noch ein Examinierter abgezogen, weil da ja jetzt billigere Arbeitskräfte die Arbeiten verrichten können. Ist doch toll !!! Das Heim hat weniger Ausgaben, aber die Einnahmen bleiben gleich.
Und die Bewohner können sich nicht wehren, da die meisten Dement oder anderweitig nicht handlungsfähig sind. Und die Angehörigen haben ja auch nicht immer ein Auge auf alles, was so abläuft.
So, vielleicht bin ich aufgrund meiner negativen Erfahrung im Heim etwas gefrustet, aber so sehe ich das Ganze. :-D

LG
Britta
Nur, weil du nicht paranoid bist, heißt das nicht, daß sie nicht hinter dir her sind.