Autor Thema: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...  (Gelesen 44622 mal)

Offline Thomas Beßen

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #15 am: 04. Februar 2011, 11:24:29 »
Wirklich eine sehr interessante Seite, die du da aufgetan hast, Brady! Herzlichen Dank für diese Anregung und
liebe Grüße zurück!
Thomas
Wer heute krank ist, muss kerngesund sein.

johannes

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #16 am: 05. Februar 2011, 18:38:53 »
Die Präsentation von Brady ist ansprechend aufgemacht, gefällt mir. Sie hat diese auch in einem anderen Forum eingestellt. Dennoch will ich auch hier einmal aus meiner Sicht darauf eingehen.

Für mich hat die Anrede - Schwester oder Name - der Pflegekraft nichts mit Qualität zu tun. Die Gegenüberstellung Schwester = unqualifiziert und Anrede Name und Vorname = qualifiziert betrachte ich sogar als einen Angriff gegen die Menschenwürde. Die Anrede Herr/Frau schafft Distanz - "komm mir nicht zu nahe. Ich habe im Grunde nichts mit Dir zu tun." Richtig, das ist auch eine Qualität! Abgrenzung statt Nähe. Im Grunde suchen dabei die Menschen nicht nach Abgrenzung, sondern nach Nähe. Diese wird immer weiter zurück gedrängt.

Der moderne Mensch neigt dazu, alles zu systematisieren. Was dann nicht ins System passt, ist zu beseitigen. Man kommt sich dabei auch noch clever vor.

Mir scheint, es geht eher darum, den anderen besser überwachen zu können denn zur Steigerung der Qualität. Wer ehrlich ist wird schnell feststellen, daß mit vielen Bereichen des "Qualitätsmanagements" keine bessere Qualität erreicht worden ist (auch mal über den Tellerrand Pflege hinaus geblickt). Lediglich eine Gleichschaltung der Akteure ist in vielen Bereichen das Ergebnis. Lese ich die vielen Berichte , sehe ich meine Einschätzung gestützt.

Noch weiter gedacht bedeutet das auch eine Entmenschlichung. Früher war jeder Mensch ein Original, das mit seiner ganz eigenen Art eine Bereicherung - oder auch ein Hemmnis - sein konnte. Heute wird jeder austauschbar gemacht. Die Auswirkungen sind bereits dramatisch. Arbeitsverdichtung, Überlastung, Burn out. Wer diese Tortur nicht mehr durchhält, wird ausgegrenzt, entsorgt oder wie man heute so feinfühlig sagt: "Dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt!" - Nicht nur in der Pflege!

Wundert es da, wenn bereits Pflegeroboter entwickelt werden? Da erfüllt einer wie der andere die "Qualitätskriterien".

Das waren nur ein paar weiter gedachte Gedanken von

Johannes

Offline Brady

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #17 am: 05. Februar 2011, 18:55:32 »
Hallo Johannes,

danke für deine Antwort. Aber ich kann deine Ansicht nicht teilen; gerade mit der Anrede Herr und Frau hat der Patient/Bewohner die Möglichkeit selber zu bestimmen wieviel Nähe/Distanz er haben möchte. Ich arbeite im psychotherapeutischen Bereich und kann gut und gerne behaupten, dass eine tragfähige Beziehung nichts mit dem Vornamen zu tun hat.
Vielmehr habe ich erfahren, dass mir viele Patienten sagten: "Das ist mir zu eng, jemanden Fremden mit dem Vornamen ansprechen zu müssen. Ich möchte selber entscheiden, wen ich duze und oder mit dem Vornamen anspreche".

Ich arbeite mit Kommunikationstechniken, bzw. Gesprächsführung (Carl Rogers) und dort ist es erforderlich, dass man mit dem Patienten auf einer Ebene kommuniziert in Augenhöhe und das ist nicht möglich, wenn einer mit dem Vornamen angesprochen wird. Ich selber bin dadurch auch nicht austauschbar, denn ich bin  Frau Müller, die mit dem Patienten in Beziehung steht und arbeitet und nicht schnell austauschbar mit einer "Schwester" ohne Nachnamen.
Selbst der Patient muss sich dann meinen Nachnamen merken und geht in Beziehung zu mir, da nicht mehr der Ruf nach einem "Schwester" reicht. Es kann dann auch nicht mehr so schnell zu einem Patienten gesagt werden: "gehen Sie mal zur Schwester", sondern es muss diejenige Pflegefachkraft mit Nachnamen benannt werden. Wir werden authentischer, Präsenter und greifbarer und das kann nur von Vorteil sein.
Für mich ist klar, dass wir so mehr Verantwortung übernehmen; verstehe natürlich auch, dass viele Angst davor haben.

Liebe Grüße Brady


P.S. Vor Pflegeroboter habe ich eher Angst, wenn wir uns nicht deutlicher mit unserem Nachnamen zeigen, denn so sind wir eine breite gesichtslose Masse von "Schwestern" die austauschbarer sind als Personen mit Nachnamen die unverwechselbar zu sich und ihrer Aufgabe stehen. Wir haben es nicht nötig so profillos zu sein, denn wir haben eine ganze Menge drauf und sollten uns auch so zeigen.
« Letzte Änderung: 06. Februar 2011, 00:38:36 von Brady »
Ich bin keine Schwester, ich bin eine Fachpflegekraft!

johannes

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Menschlichkeit
« Antwort #18 am: 06. Februar 2011, 09:16:16 »
@ brady
Zitat
Aber ich kann deine Ansicht nicht teilen;
Es wird öfter vorkommen, daß Menschen nicht einer Meinung sind. Das sehe ich auch nicht so eng. Vielleicht ist zu bedenken, daß meine Aussage in eine ganz andere Richtung geht.
Zitat
Die Gegenüberstellung Schwester = unqualifiziert und Anrede Name und Vorname = qualifiziert betrachte ich sogar als einen Angriff gegen die Menschenwürde.
In dieser Gegenüberstellung sehe ich das das Problem.
Zitat
gerade mit der Anrede Herr und Frau hat der Patient/Bewohner die Möglichkeit selber zu bestimmen wieviel Nähe/Distanz er haben möchte.
Diesem Gedanken kann ich nicht folgen. Ob Sr. und Vorname und Sie oder Herr/Frau und Nachname und Sie macht in der Praxis der Anrede keinen Unterschied. Beim Herr/Frau und Nachnamen allerdings ist von vorn herein eine größere Nähe, die u. U. erforderlich ist, um die betreffende Person erreichen zu können, ausgeschlossen. Da ich selbst ebenfalls im psychiatrischen und psychtherapeutischen Bereich arbeite, sind mir diese Mechanismen durchaus nicht fremd. Du arbeitest mit der Kommunikationstechnik z. B. nach Rogers, ich arbeite mit der Kommunikationstechnik Jesu. Dabei geht es darum möglichst alle Menschen zu erreichen. Ein Studium seiner Vorgehensweise kann sehr hilfreich sein.
Zitat
viele Patienten sagten: "Das ist mir zu eng, jemanden Fremden mit dem Vornamen ansprechen zu müssen. Ich möchte selber entscheiden, wen ich duze und oder mit dem Vornamen anspreche".
Das hat ja auch seine Richtigkeit. Diese Patienten benötigen eine größere Distanz. Was hindert daran, sie in diesen Fällen zu berücksichtigen? Wie sieht es bei jenen aus, die mehr Nähe benötigen? Und dieser Kreis ist weit größer als der von Dir benannte. Ich beobachte seit Jahrzehnten eine zunehmende Kälte zwischen den Menschen. Gerade diese immer größer werdende Distanz erzeugt immer mehr Kälte zwischen den Menschen.
Zitat
Die Anrede Herr/Frau schafft Distanz - "komm mir nicht zu nahe. Ich habe im Grunde nichts mit Dir zu tun." Abgrenzung statt Nähe.

Wir sind auch noch stolz auf diese Distanz und merken gar nicht mehr, wie wir Menschsein zerstören. Als der Mensch geschaffen wurde, hieß es. "es ist nicht gut, wenn der Mensch allein ist!" Der Mensch ist ein soziales Wesen, das von Nähe lebt. Er braucht ein vertrautes Gegenüber. Es ist schon lange bekannt, daß der Entzug von Nähe Menschen krank macht. Hierüber gibt es sogar eindrucksvolle Studien - trotz der Problematik an Kleinkindern erprobt. Diese ferne Anrede des "Herr/Frau und Sie" entspricht genau dieser Qualität des Entzuges von Nähe. Ich kann dies nicht als wünschenswert einordnen. Sie ist auch mit Gesten sehr gut darstellbar. Herr/Frau und Sie entspricht eher den verschränkten Armen vor der Brust oder dem Ausspruch "Was willst Du von mir?" Diese Form der Anrede entspricht auch eher den Gesprächen der Pflegekräfte, wenn fällt "was macht das Magengeschwür" oder "was macht der Blinddarm". Das Gegenüber wird zur "Krankheit", die eben behandelt wird. Eine Sache, mehr nicht.

Ganz anders der "sprechende Arzt", der seinen Patienten noch von Kind auf an kannte und fragt "wo drückt Dich denn der Schuh". Das "Du" in der Anrede ist ebenso ein Qualitätsmerkmal, das den Menschen sieht, der verstanden werden will. Das sind die ausgebreiteten Arme eines Verstehenden über die Krankheit hinaus, ein "Komm her, ich bin für Dich da!" Der ganze Mensch wird angesprochen in seinen Bedürfnissen. Keine Fokussierung auf die Krankheit, die Gebrechlichkeit. Ein ganzheitlicher Ansatz liegt im "Schwester Sabine". Da findet sich keine Anonymität, hinter der man sich verstecken könnte.

Vielleicht stehen die zunehmenden organischen Krankheiten, die zunehmenden psychischen Erkrankungen, die zunehmenden sozialen Probleme als eine Folge der ständig fortschreitenden Distanzierung und Versachlichung in einem ursächlichen Zusammenhang. Schade, daß darüber keine Studien angestellt werden - soweit mir bekannt ist.

Ich denke, Qualität in der Anrede berücksichtigt beides. Jene, die Angst vor Nähe haben und jene, die Nähe suchen, um wieder atmen zu können.
« Letzte Änderung: 06. Februar 2011, 10:58:39 von johannes »

Offline dino

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #19 am: 06. Februar 2011, 09:38:36 »
Ich kann Brady nur beipflichten. Der name ist oft das Einzige was einem Menschen geblieben ist. Also respektiere ich dies und rede Pat. grundsätzlich mit Sie an. Ausnahme: ich kenne den Pat. Privat, sowas kommt auch vor. Ich habe in den letzten 32 Jahren auch keine negativen Erfahrungen mit dem Siezen gemacht, weder klinisch noch präklinisch. Für Pat. ist vor Allem wichtig mit welchem Tonfall und welcher Gestik man sie anspricht. Im übrigen bestimme ich auch alleine darüber wer mich wie mit welchem Namen anspricht, dies hat nichts mit meinem Job zu tun. Ich duze ja auch z. B. nicht nicht die Verkäuferin vom Aldi oder sonst wen.

johannes

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #20 am: 06. Februar 2011, 10:55:04 »
@ dino

Soweit ich brady richtig verstanden haben, geht es bei der Anrede um einen Qualitätsstandard.
Zitat
Die Gegenüberstellung Schwester = unqualifiziert und Anrede Name und Vorname = qualifiziert
in ihren Ausführungen macht dies für mich deutlich.

Da erwarte ich allerdings auch eine qualifizierte Diskussion, die sich nicht mit Allgemeinplätzen zufrieden gibt. Willst Du mir mit Deinem Beitrag mitteilen, daß die zwischenmenschliche Kälte nicht vorhanden ist, von der ich sprach? Oder willst Du mit Deinem Beitrag sagen, daß Nähe und Verstehen des "sprechenden Arztes" nicht mehr zeitgemäß ist? Du gehst nicht auf diese Realitäten ein. Warum nicht?

Offline dino

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #21 am: 06. Februar 2011, 11:42:11 »
Und Du bestimmst was Qualifiziert ist?? Ein großes Problem stellst Nähe und Distanz durchaus dar. Und zwar dadurch, dass die Distanz häufig nicht gewahrt wird. Dies kann bis zur Spaltung gehen. Wir sind Profis und haben das Tal von Samaria seit ein paar Tagen verlassen. Wir arbeiten nach Evidenz basierten Standars. Und dies kann man sogar empathisch durchführen. Du hast eine andere Sichtweise die ich akzeptiere.
Alles hat seine Vor- und Nachteile. Dein "sprechender Arzt" kannte wahrscheinlich zwar alle Probleme seiner Pat., aber ob er denn damals auch  bei einem Notfall so effizient intervenieren konnte?  Eher nicht, und darüber gibt es Kennzahlen. Schon bei einer Standardbehandlung sind wir schnell an die Grenzen des Möglichen gestoßen. Wer hat heute noch den Arzt den er bei der Geburt hatte? Wie sieht es bei der "Dorfschwester" aus? Arzt/Schwester waren früher anders verankert. Wahrscheinlich war früher sogar das Vertrauen in sie größer. Aber das darf alles nicht darüber hinwegtäuschen das  man bei einer wissenschaftlich fundierten Behandlung größere Chancen hat.  Die Zeiten ändern sich. Bei Dir sehe ich nur black/white. Ich kann die Hand eines Pat. halten, ihm zuhören aber gleichzeitig die Anzeige vom Moni beachten. Und die Oma Müller ist trotzdem die Fr. Müller für mich. Sollte sie mich in dieser Situation duzen, what shalls?
Allgemeinplätze? Ich sehe nur Fakten.
Wer bestimmt wie ich angeredet werden will? Situativ unterschiedlich, grundsätzlich aber ich
Wie rede ich mir fremde Personen an? Mit Sie
Welche Kennzahlen und Indikatoren gibt es die das Gegenteil belegen? Kann nicht ein du auch vom Pat. abwertend empfunden werden?

Offline Brady

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #22 am: 06. Februar 2011, 12:01:51 »
Hallo johannes,

das Frau/Herr schafft nicht nur Distanz. Der Mensch hat die Möglichkeit selber in dieser Beziehung zu bestimmen wie weit er Nähe und Distanz halten will. Mit Schwester und Vorname drücke ich  dem Menschen Nähe auf. Ein tragfähige Beziehung ist ein Prozess und bedeutet Arbeit. Dieser Schritt wird  übergangen und ich halte eine Beziehung, die ich erarbeitet habe für konstruktiver.

Für die Definition, dass "Schwester" eine nichtgeschützte Bezeichnung ist kann ich nicht; bzw. garkeine Berufsbezeichnung. Es kann sich jeder, auch ohne jegliche Ausbildung so nennen. Schwester ist auch kein "Titel", sondern eine Verwandschaftsbezeichnung und eine Anrede für Ordensfrauen.

Gruß Brady

« Letzte Änderung: 06. Februar 2011, 12:16:57 von Brady »
Ich bin keine Schwester, ich bin eine Fachpflegekraft!

johannes

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #23 am: 06. Februar 2011, 12:40:46 »
Zitat
Und Du bestimmst was Qualifiziert ist??
Wo habe ich das bestimmt? Solche Vorhaltungen passen nicht in eine Diskussion.
Zitat
Wir sind Profis und haben das Tal von Samaria seit ein paar Tagen verlassen.
Kann es sein, daß es Menschen gibt, die sich als Profis ausgeben und in Wirklichkeit einseitige Ausrichtung meinen?
Was verstehst Du unter dem Tal von Samaria?
Du schreibst
Zitat
Wir arbeiten nach Evidenz basierten Standars.
Ich übersetze das mal in gutes Deutsch (wikipedia)
Zitat
auf Beweismaterial gestützt
Damit kann dann jeder etwas anfangen und hinterfragen:

Wo ist das Beweismaterial, daß die Anrede Herr/Frau gegenüber der Anrede Schwester menschenwürdiger ist? Soll nicht gerade dies hier diskutiert werden?

Ganz recht
Zitat
Alles hat seine Vor- und Nachteile.
Darum erhebt sich die Frage, warum die Anrede Name und Vorname = qualifizierter sein soll, als die Anrede Schwester. Vor allem, warum die Anrede Schwester konkret unqualifiziert sein soll.
Zitat
Dein "sprechender Arzt" kannte wahrscheinlich zwar alle Probleme seiner Pat., aber ob er denn damals auch  bei einem Notfall so effizient intervenieren konnte?
Du willst mir jetzt aber nicht sagen, daß das eine qualifizierte Aussage ist. Du unterschlägst hierbei, daß das Eine das Andere nicht ausschließt. Ich habe gelernt, daß die halbe Wahrheit immer noch eine ganze Lüge ist. Davor sollten wir uns also hüten. Wenn Du also genau hinsiehst, wirst Du feststellen, daß ich beides miteinander verbinde.
Daß
Zitat
man bei einer wissenschaftlich fundierten Behandlung größere Chancen hat
kann ich in dieser schwarz/weiß-Behauptung nicht unterstützen. Wissenschaftliche Erkenntnisse haben durchaus ihre Berechtigung, die Erfahrungsmedizin allerdings auch, wie viele Beweise von Heilungen fernab wissenschaftlicher Grundlagen beweisen. Ich kenne ausreichend staunende Äußerungen aus der wissenschaftlichen Ecke, die diese schwarz/weiß-Malerei in Frage stellen.

Exakt das gleiche Phänomen ist in den Ausführungen von Brady festzustellen, wenn sie schreibt:
Zitat
Schwester = unqualifiziert und Anrede Name und Vorname = qualifiziert.
Genau das ist die von Dir angesprochene schwarz/weiß-Malerei. Ich denke, die Wahrheit liegt, wie so oft irgendwo dazwischen.
Zitat
Und die Oma Müller ist trotzdem die Fr. Müller für mich.
Diese Aussage gehört für mich nicht zum Thema, das um die Anrede der Pflegekräfte geht. Überzeuge mich also davon, daß Herr/Frau und Sie tatsächlich eine andere Qualität hat als Schwester xy.


johannes

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #24 am: 06. Februar 2011, 12:52:30 »
Ja, brady, ich stimmte Dir zu,
Zitat
dass Frau/Herr nicht nur Distanz schafft .
Davon ist auch nicht die Rede. Herr/Frau in Verbindung mit Sie allerdings schafft in aller Regel Distanz.

In der Anrede Herr/Frau Doktor wird eine riesige Distanz geschaffen zwischen dem Patienten und dem Arzt. Der Patient schaut von ganz unten - alt, krank, gebrechlich - zu dem Arzt auf, der quasi in einer anderen Sphäre lebt. Manche sagen sogar wie ein Halbgott.

Die Schwester hingegen vermittelt Nähe, Geborgenheit, Verstehen, Anteilnahme und stellt damit eine Vertrauesbasis her die bei einem Herr/Frau und Sie vergeblich gesucht wird. Ich bin noch keinem Patienten begegnet, der die Qualifikation einer Krankenschwester (Berufsbezeichnung, die in der Praxis nie verwandt wird) in Frage stellt, wenn sie sich qualifiziert verhält, ihre Arbeit also professionell ausführt. Die Kompetenz wird somit nicht über die Titulierung, sondern die fachliche Vorgehensweise definiert.

Im Übrigen irrst Du, wenn Du die Bezeichnung Schwester auf ein Verwandtschaftverhältnis oder eine Ordensfrau reduzierst. 

Offline Brady

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #25 am: 06. Februar 2011, 13:03:42 »
Im Übrigen irrst Du, wenn Du die Bezeichnung Schwester auf ein Verwandtschaftverhältnis oder eine Ordensfrau reduzierst.

Hallo johannes,

nein, da irre ich mich nicht. Die Bezeichnung "Schwester" ist umgangsprachlich entstanden, da die alte geschützte Berufsbezeichnung "Krankenschwester" lautet. Diese Berufsbezeichnung  entstand zu einer Zeit (Agnes Karll) als die wilden Schwestern um 1900 herum Kranke pflegten. Die wilden Schwestern hatten kaum Rechte und ein Funktionär benannte diese Frauen, die keiner Organisation oder keinem religiösen Orden angeschlossen waren als "moderne Prostitution". Um diesen Frauen Schutz zu geben entstand die Berufsbzeichnung Krankenschwester.
Wobei der Begriff der Männer in der Pflege sich schnell änderte; vom Krankenwärter/Irrenwärter zum Krankenpfleger.

Ich arbeite schon lange als Frau XY und habe auch die Erfahrung mit Schwester und Vorname und kann deiner Argumentation nicht zustimmen. Denn ich reduziere mich nicht nur auf Schwester; ich bringe meine ganze Person mit ein und mein Menschenbild und meine Haltung sind mir sehr wichtig. Ich habe weit tragbarere Beziehungen in meiner Arbeit erlebt, bzw. es haben sich Dinge eröffnet, die nie so entstanden wären.
Deine Erfahrung mit Ärzten habe ich auch; aber solche hat wohl jeder. Wir in unserem Team arbeiten mit diesen Erfahrungen und gehen genau auf solche Ängste ein.

Gruß Brady
« Letzte Änderung: 06. Februar 2011, 15:21:17 von Brady »
Ich bin keine Schwester, ich bin eine Fachpflegekraft!

Offline dino

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #26 am: 06. Februar 2011, 13:12:36 »
Langsam wirds langweilig, was wo passt oder nicht gehört wohl eher in die Kategorie Meinungsfreiheit, aber damit tun sich vor allem Fundis schwer. Warum überleben heute mehr Menschen einen Unfall oder Erkrankung? Durch Evidenz basierte Massnahmen. Gibts auch Studien drüber. Und natürlich den technischen Fortschritt.
Und nun zu Deinem du. Eine Hilo in einer X beliebigen Stadt wird aufgefunden. Pat. riecht nach C2 und hat eine suboptimale persönliche Hygiene. Und nun kommt ein Ordnungspolizist der die Ordnung in seiner Fußgängerzone gefährdet sieht und den Menschen anspricht: He du, was soll denn das? Leg Dich woanders hin. Das wird der (zukünftige) Pat. in der Regel so nicht hinnehmen. Die Situation eskaliert. Der Ordnungshüter holt Verstärkung. Man versucht den Betroffenen wegzutragen, was misslingt. Die alkoholisierte Person startet nun ihrerseits mit verbalen Entgleisungen. Eine Handbewegung wird mißdeutet, der Betroffene wird als aggressiv eingestuft. Sätze wie: Man du stinkst, hör auf mit dem Müll oder du lernst uns kennen, los, verschwinde. Und immer mit du.
Ein du kann (genau wie ein sie) diskriminierend, entwürdigend und verletzend wirken.
Ach ja, die Erfahrungsmedizin. Auch wenn Du es ungern hörst. Die Evidenz basierte Medizin fußt auf die Erfahrungsmedizin.

iceage

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #27 am: 06. Februar 2011, 16:42:40 »
Hallo zusammen,
ich hab mir den gesamten Thread "zu Gemüte" geführt und bin erstaunt,mit welch neckischen Fremdwörtern ein Thema
angeheizt wird,welches nun schlicht ganz und gar in die Persönlichkeit einer jeden Pflegekraft eingreift.
Ausserdem hat die Anrede absolut nichts mit "Erfahrungsmedizin" oder "evidenzbasierter Medizin" zu tun,denn es ist nicht generell auf Pflege und Medizin beschränkt.
Ich stimme hier völlig mit Johannes überein,denn jede Forderung nach "angeordneter" Anrede ist abseits jeglicher Realität,zumal man ja,wie an anderer Stelle schon erwähnt,ein Demenzkranker sich nicht darum schert,wie wer angesprochen werden will,sondern er nimmt die Anrede,die ihm noch geläufig ist und das ist in der Regel Schwester !
Wenn man also eine psych. Tagespflege leitet und sich nebenher noch so sehr mit solch einem abstrusen Thema beschäftigen kann,dann ist die Tätigkeit in der Tagespflege nicht sonderlich erfüllend,aber das ist meine ganz persönliche Meinung.

Offline Brady

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #28 am: 06. Februar 2011, 16:50:46 »
Tagepflege? Jetzt komme ich garnicht mehr mit. Wer macht Tagespflege?

Es ist schade, dass so wenige sich mit diesem Thema fachlich auseinander setzen. Pflege hat kein oder wenig Interesse an berufspolitischen Themen und möchte sich nicht verändern.
Es wird nicht hingeschaut, dass sich Begriffe verändern, dass gefordert wird, Namenschilder mit Vor- und Nachnamen zu tragen. Begriffe wie Oberschwester/Oberpfleger sind verschwunden,
die heutige Stationsleitung wird immer seltener als Stationsschwester benannt. Aber keiner bekommt was mit...geschweige die Gründe dafür....


Gruß Brady
« Letzte Änderung: 06. Februar 2011, 16:57:16 von Brady »
Ich bin keine Schwester, ich bin eine Fachpflegekraft!

johannes

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Re: Ist die Anrede "Sr. Karin" in der Pflege noch zeitgemäß?...
« Antwort #29 am: 06. Februar 2011, 17:47:13 »
Nun bleiben wir doch mal auf dem Teppich.

Die Anrede der Pflegekraft soll einen eigenen Standard bekommen. Das ist hier das Thema.

Die eine Form wird als professionell hingestellt, die andere als unprofessionell. Warum nicht beide nebeneinander stehen lassen und in der jeweiligen Situation einsetzen? Wie sagst Du so exotisch? Mit Empathie. Ich sags lieber auf deutsch. Das versteht auch die Dame, der Herr: Einfühlungsvermögen

Du, dino, gebrauchst offensichlich gern Fremdwörter, ignorierst - oder scheust? - die Übersetzung in Deine eigene Sprache. Kann es sein, daß Dir der Inhalt der Fremdworte nicht geläufig ist? Warum gehst Du nicht auf die Inhalte, ihre Bedeutung ein? Warum fährst Du statt dessen persönliche Angriffe? Oder willst Du Deine Aussage
Zitat
damit tun sich vor allem Fundis schwer
etwa nicht als persönlichen Angriff verstanden wissen? Was ist denn ein Fundi? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Du ein Problem damit hast, wenn jemand nicht Deine Meinung teilt, die Du noch nicht einmal schlüssig begründest.

Was haben z. B. Deine Ausführungen über Unfälle und Krankheiten mit dem vorliegenden Thema zu tun? Auch hier lieferst Du keine Erklärung. Das ist mir zu wenig.

Zitat
Ein "Du" (von mir abgeändert) kann (genau wie ein "Sie" (von mir abgeändert)) diskriminierend, entwürdigend und verletzend wirken.
Hier stimme ich Dir voll zu. Kann! Muß es aber nicht. Ist Dir nur die Negativform bekannt? Oder ignorierst Du die Positivform vorsätzlich? Vielleicht versuchst Du einmal, Dich an die Positivform heran zu tasten. Du wirst staunen, wie belebend das sein kann und wieviel Potential dahinter steckt, positives Potential.

Meinst Du nicht, daß es zu einseitig ist, wenn Du, wie bisher, ausschließlich negativ reagierst? Hast Du überhaupt einen Blick dafür, die positiven Seiten zu sehen? Wenn Du einmal unsere gegenseitigen Beiträge betrachtest, wirst Du feststellen, daß ich konkret und sachlich zu Deinen Aussagen Stellung genommen habe. Du hingegen ergehst Dich in Allgemeinplätzen und persönlichen Angriffen. Das würde ich nicht als professionell bezeichnen. Warum ignorierst Du, daß ich dem "Sie" seine Berechtigung zugestanden habe, wie ich diese auch dem "Du" zugestehe? Es wäre schön, wenn Du auf diese Fragen eine Antwort fändest.

Wenn ich für eine meiner Bewohnerinnen "der Lausbub, der Grappede" bin (sie kommt aus Wien), dann bin ich für sie der Lausbub. Wenn ich mich dann als "der Lausbub, der Grappede" bei ihr melde, geht ein Leuchten über ihr Gesicht. Warum? Weil der Lausbub der ist, mit dem sie etwas verbindet, das ihr gefällt. Mit dem Herrn xy würde ich diese Reaktion nicht einmal ansatzweise erzielen, weil sie damit nichts anzufangen weiß. Stell Dir vor, ich müßte dieser alten Dame mit Herr xy begegnen, wie ein Standard mir vorschriebe. Das wäre eine Katastrophe.

Für sie ist das Du, das aus dem Lausbub spricht, positiv besetzt und nicht, wie Du schreibst negativ. Ich habe gelernt, daß ich die Menschen dort abholen muß, wo sie sich gerade befinden, wenn ich sie erreichen will. Vielleicht kannst Du, wenn Du ein wenig drüber nachdenkst, doch auch dem "Du" etwas Positives abgewinnen?