Autor Thema: Therapie des Herzinfarkts 1961  (Gelesen 4249 mal)

Mathi

  • Gast
Therapie des Herzinfarkts 1961
« am: 27. März 2011, 19:25:29 »
Ein Bericht aus den Heft "Herz Heute":

Im Jahr 1964 erlitt ein älterer Kollege (55 Jahre) aus dem ich als chirurgischer Assistent tätig war, einen Herzinfarkt. Dies war auf Grund der Beschwerden und des Elektrokardiogramms anzunehmen. Weitere diagnostische Möglichkeiten zur Diagnosesicherung wie z.B. Enzybestimmungen gab es noch nicht. Er wollte unbedingt in seiner Klinik bleiben. Mein damaliger Chef erlaubte mir, den Kollegen auf der chirurischen Station zu betreuen. Nach Besprechung mit den Internisten kamen als Behandlung nur sechs Wochen Bettruhe und eine tägliche Spritze Corhormon (Extrakt aus Rinderherzen) in Betracht. Der Behandlungsplan laut Gotthard Schettler, Heidelberg, sah 1961 folgendes Schema vor:

8.00 UhrWecken, Frühstück und Schlafmittel
8.15 UhrBettenmachen und Zimmer abdunkeln
12.30 UhrWecken, Blutdruck, Stuhlgang
12.45 UhrMittagessen, Schlafmittel
13.00 UhrZimmer verdunkeln
18.00 UhrWecken, Temperatur, Puls, Blutdruck, Stuhlgang
18.15 UhrAbendessen, Beruhigungsbad
19.15 UhrSchlafmittel

Dieses relativ einfache Therapieschema ließ sich auch in der chirurgischen Abteilung bewerkstelligen. Die Therapie musste 6 Wochen durchgehalten werden, was auch geschah. Nur auf das Beruhigungsbad haben wir verzichtet, weil wir nicht wussten, wie wir das anstellen sollten, ohne den Patienten zu belasten. Diese Entscheidung erwies sich im Nachhinein als richtig.
Eine Monitorüberwachung war damals noch ubbekannt. Ein Elektroschockgerät gab es in den Krankenhäusern Deutschlands auch noch nicht. Der Kollege hat die Behandlung tapfer durchgehalten. Er hegte jedoch nach dieser Zeit den verständlichen Wunsch ausgiebig zu baden. Leider erlitt er in der Badewanne einen Rückfall, weshalb er noch einmal 6 Wochen Bettruhe addienen musste. Auch diese Anweisung hat er brav befolgt.
Das einfache Behandlungsschema von 1961 macht deutlich, dass die Medizin damals außer Zeit und Geduld wenig anzubieten hatte. Man konnte nur auf einen glücklichen Ausgang hoffen. Schmerzbekämpfung durch Opiate war allerdings schon möglich. Nach einer solchen Schlaftherapie wurde der Patient zur Kur geschickt. Aber auch die Kurärzte hatten Angst und hielten die Kurfähigkeit erst nach 5-6 Monaten für gegeben. An die Wiederaufnahme der Arbeit war erst nach einem Jahr zu denken.
Um auf den Kollegen zurückzukommen: Er überlebte den Infarkt um etwa 12 Jahre. Er litt aber unter einer schweren Angina pectoris mit Beschwerden bei fast jeder Belastung, die lediglich mit Nitroglycerinkapseln behandelt werden konnten. Betablocker, ACE-Hemmer und Calciumantagonisten gab es noch nicht, von ASS war ebenfalls noch keine Rede.